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Niccolòs Aufstieg

Titel: Niccolòs Aufstieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Dunnett
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schaute in den Keller hinunter, und Claes schaute herauf, doch das entwaffnende Lächeln lag im Schatten.
    Einen Arzt kann nichts überraschen. Es hätte Tobias Beventini nicht gewundert, wenn sich zwischen dem Jungen, der vor kurzem noch sein Patient gewesen war, und dieser de Fleury tatsächlich etwas abgespielt hätte. Ihr war ohne weiteres zuzutrauen, daß sie sich an den Jungen herangemacht hatte. Und dem Jungen, dachte Tobias, war ohne weiteres zuzutrauen, daß er diese Gelegenheit aus ganz persönlichen Gründen genutzt hatte. Rache konnte seltsame Formen annehmen. Tobias sah Claes anders als Julius ihn sah.
    »Sie ist häßlich wie die Nacht«, sagte Claes. »Er hat sie wegen ihrer Mitgift geheiratet.«
    »Und?« fragte Tobias.
    »Und es hilft ihr, sich einzureden, daß die Männer sie begehren. Meester Julius weiß das. Deswegen ist er hier weggegangen. Eine traurige Angelegenheit. Doch ihr Mann nutzt das aus.«
    »Warum sollte er dann dich beschuldigen?« hakte Tobias nach. »Und wo warst du letzte Nacht überhaupt?«
    »Bei den Dienstboten«, antwortete Claes. »Aber das wollte ich nicht sagen. Ich bin vor acht Jahren entkommen, doch vielen ist das nicht gelungen. Es gibt noch eine Nichte … ach, das ist jetzt nicht so wichtig. Mich hat er beschuldigt, eben weil ich ihm entkommen bin. Für mich steht nichts auf dem Spiel, da könnte ich ja leicht die Wahrheit über Madame Esotas Krankheit ausposaunen.«
    »Krankheit!«
    Mit schräggelegtem Kopf sah Claes zu Tobias hinauf. »Ihr seid nicht häßlich. Und auch nicht mit Jaak de Fleury verheiratet.«
    Tobias musterte den Jungen. »Ohne mich würde de Fleury dich vernichten«, entgegnete er. »Und deinen Freund Julius wohl auch. Du verzeihst zuviel, mein lieber Claes. Wenn du nicht deine eigenen Schlachten schlägst, bürdest du den dir Höhergestellten eine schwere Last auf. Oder willst du das vielleicht sogar?«
    Stroh raschelte, als Claes sich bewegte. »Glaubt Ihr das? Hoffentlich nicht. Ich kann Euch nicht genug danken für Eure Mühe. Aber es wäre gar nicht nötig, etwas zu tun.«
    »Dir wäre es egal, Nase oder Hände zu verlieren?«
    »Entweder es geschieht, oder es geschieht nicht«, antwortete Claes zurückhaltend. »Ich muß damit zurechtkommen, ob gut oder schlecht. Wirklich, ich danke Euch für das, was Ihr getan habt. Das hat mich ein zweites Mal gerettet. Aber diesmal werde ich niemand anderen hineinziehen.«
    »Diese Entscheidung liegt nicht bei dir«, entgegnete Tobias. »Das steht niemandem zu.«
    Claes schwieg. Es war ein nachdenkliches Schweigen. Tobias bedrängte ihn. »Hast du das nie bedacht?«
    »Ich denke an die Menschen, die auf mich angewiesen sind«, versetzte Claes. Es war kalt im Keller, doch er saß ganz still, die verschränkten Arme fest um den Oberkörper geschlungen. »Aber niemand braucht meine Schwierigkeiten auf sich zu nehmen.«
    »Nicht einmal die Menschen, die auf dich angewiesen sind?« fragte Tobias.
    Das brachte den Jungen ein wenig aus der Fassung. »Ihr und Meester Julius seid das nicht.«
    »Vielleicht nicht. Aber du bist unser Gewissen«, sagte Tobias. »Wenn wir zulassen, daß dir Unrecht geschieht, verletzen wir unsere eigene Würde. Ob du willst oder nicht, wir müssen eingreifen. Wie auch jene, die dir etwas schuldig sind. Du bist nicht frei. Hat deine Herrin dir das nach einer deiner Eskapaden nie erklärt? Aber vielleicht ist es unfair, daran zu erinnern. Diesmal hast du ja keine Schuld. Also nimm die Hilfe an, die dir bereitwillig angeboten wird.«
    »Erbetene Hilfe, ja. Meester Tobias …«
    Er hatte keine Ahnung, was der Junge wollte, und wartete.
    »Meester Tobias«, sagte Claes. »Diese Leute sind unangenehm, aber sie zu bestrafen ist unnötig. Vor allem nicht mit dem Tod.«
    Tobias blickte hinunter zu Jaak de Fleurys Großneffen und Gefangenem. »Wer könnte sie mit dem Tod bestrafen?«
    Das Gesicht in der Tiefe hellte sich ein wenig auf. »Gott«, antwortete Claes, »obwohl Ihr sie davor natürlich nicht schützen könntet. Oder vielleicht jemand mit irgendwelchen Gifttränken.«
    »Ich verstehe.« Tobias überlegte. »Da sehe ich keine Gefahr, Mach dir keine Sorgen«, sagte er schließlich.
    »Gut«, antwortete Claes und lächelte zu ihm hinauf.
    Tobias spürte, wie ihm das Lächeln auf den Lippen gefror, als er in seine Kammer und zu seinem Arzneikasten zurückkehrte. Noch fehlte nichts. Er sperrte ihn ab … vor wem? Vor Astorre und seinen Leuten, denen de Fleury nur Verachtung entgegenbrachte?

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