Niccolòs Aufstieg
Pferde für Pierfrancesco de’ Medici, der eine Acciajuoli geheiratet hatte. Irgendwo hörte er Hühnerhabichte krächzen. Auf der einen Seite führte eine mit einer Balustrade versehene Treppe zum Hauptgeschoß empor. Der Pförtner, den das Eintreffen von Tobias Beventini nicht überrascht hatte, führte ihn die Stufen hinauf auf einen schmalen Balkon, der an der Fassade des Gebäudes entlanglief. In einiger Entfernung befand sich eine Tür, die sich öffnete, als Tobias näher kam. Und in der sogleich sein Onkel erschien.
»Na, du Mistkerl«, sagte Giammatteo Ferrari da Grado. »Du hast dich ja nicht gerade beeilt. Häng deinen Umhang da hin. Bist du gefaßt auf das, was geschehen wird?«
»Ich weiß nicht, was geschehen wird«, erwiderte Tobias kühl. »Ich kann mich nur wiederholen. Es besteht keinerlei Verbindung zwischen dem Burschen und mir. Was immer er getan hat, er ist ganz allein dafür verantwortlich.«
Giammatteo war nur wenig älter gewesen als Tobias jetzt, da hatte er bereits als Professor für Medizin an der herzoglichen Universität in Pavia gelehrt. In den dreißig Jahren seiner Laufbahn war er seinem Lehrstuhl nur ferngeblieben, um den jetzigen Herzog und Gönner der Universität zu behandeln. Oder um seine Dienste, natürlich gegen gutes Geld, den Adligen und Berühmtheiten zukommen zu lassen, deren Bitten oder Ränkespiele das Herz des Herzogs erweicht hatten.
Als Tobias nach glanzvollem Examen das selbstgenügsame ruhige Universitätsleben ausschlug und statt dessen lieber mit Kaufleuten und Söldnern umherzog, hatte Maestro Giammatteo dieses Verhalten öffentlich mißbilligt und dadurch geschickt verhindert, daß sein Neffe sich seinen Namen zunutze machen konnte. Dies und anderes, was er damals sagte, hatte ihn bei Tobias nicht beliebt gemacht. Ebensowenig wie die Tatsache, daß der Professor, obwohl bereits weit über sechzig, noch rüstig war und sich blühender Gesundheit erfreute und daß sein fröhliches Gesicht im Gegensatz zu Tobias’ noch immer schön war mit seinem Bart und dem dicken graumelierten Haar.
»Ist er da?« fragte Tobias.
»Oh, ja«, erwiderte sein Onkel. »Du weißt doch, er hat die Pferde für Pierfrancesco gebracht. Messer Agnolo und seine Schwester haben ihn sogar bereits erneut eingeladen. Ein äußerst aufgeweckter Junge. Wir waren alle sehr interessiert daran, mit ihm zu sprechen. Er zeigt charmante Dankbarkeit für alles, was du für ihn getan hast. Deine kundige Pflege in Damme, deine barmherzige Tat in Genf. Wir wissen, wie nahe ihr euch gestanden habt. Dein plötzlicher Abschied von Hauptmann Lionetto erweckte den Anschein, als hätten dich die Affären des Jungen angezogen.«
»Nein. Wie ich Euch schon sagte. Ich fand vielmehr die Affären des Hauptmann Lionetto abstoßend«, entgegnete Tobias knapp. Affären hatte sein Onkel mit einer gewissen Hinterlist gesagt. Abweichungen von der Norm hatten Giammatteo schon immer fasziniert. Was Tobias wiederum beruhigte. Dann war er also deswegen hier. Zumindest bedeutete es, daß sein Onkel nichts von Haarfärbemitteln, Liebestränken und Stechpalmen wußte. Oder von einem möglichen Vermögen in den Händen einer rätselhaften Person, die er vielleicht, oder vielleicht auch nicht, dazu bewegen könnte, sich ihm anzuvertrauen.
»Und jetzt findet Lionetto dich abstoßend, wie ich höre«, fuhr sein Onkel vergnügt fort. »Dein ehemaliger Hauptmann ist in Mailand, auf dem Weg zu Piccinino. Du tätest gut daran, vorsichtig zu sein. Nun, dein junger Freund hält sich mit Messer Agnolo seiner Schwester und Freunden im Wohnraum auf. Am besten kommst du mit mir, um ihn abzuholen.«
»Im Wohnraum?« wiederholte Tobias.
Der Professor lächelte. »Beim Kartenspiel, glaube ich«, erklärte er wohlwollend.
Der Wohnraum der Acciajuoli war nicht viel mehr als ein kleines Kabinett mit einem hell flackernden Feuer im schönen Kamin. Alle anderen Lichter waren um den Kartentisch verteilt, an dem vier Leute saßen. Drei weitere standen hinter ihnen und beugten sich vor. Als Tobias und der Professor eintraten, drehte sich einer der Sitzenden mit geistesabwesendem Lächeln um und hob einen Finger. »Einen Moment! Wir bitten um Nachsicht. Marco, Giovanni - vielleicht möchten unsere Gäste Wein trinken, während wir das Spiel beenden.«
Die Angesprochenen gehörten zu den drei um den Tisch stehenden Gästen, die dritte Person war ein hübsches junges Mädchen. Tobias kannte niemanden. Er setzte sein freundliches Arztlächeln
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