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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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natürlich nicht mehr, weil wir Angst haben, und zwar zu
Recht, wie diese Scheiße in Baltimore zeigt. Die Staatsanwältin, ebenfalls eine
feministische Weltverbesserin, drückt den Fall durch und erreicht eine
Verurteilung, trotz der Tatsache, dass sowohl Dennisons Frau als auch sein
Arbeitgeber sich für ihn verbürgen. Er kriegt sechs Monate und wird im Knast
jeden zweiten Tag verprügelt und von den echten Sexualverbrechern in den Arsch … äh, vergewaltigt.«
    »Gut. Verdammter Kinderschänder. Hoffentlich kriegt er noch mehr
davon, wenn er wieder drin ist.«
    »Jetzt behalt mal dein Hemd an, Nate. Jedenfalls wird er irgendwann
entlassen. Da er kein echter Sexualverbrecher ist, fällt es ihm ziemlich
leicht, seine beiden Kinder in den nächsten zwanzig Jahren nicht zu
schänden. Im vergangenen Jahr hat er seine Frau verloren, und danach ist er
weiterhin ein guter Bürger geblieben. Und übrigens sind seine beiden Kinder
gerade aus Baltimore hierher unterwegs, um ihn zum Aufgeben zu überreden.«
    »Warum fuchtelt er dann vor einem Pfarrer und zwei Kindern mit einer
Kanone herum?«, sagte Nate, der sein gemütliches Plätzchen am warmen Kamin der
Selbstgerechtigkeit auf keinen Fall räumen wollte.
    »Ich dachte, das hätte ich gerade erklärt. Der Typ hat eine Menge
durchgemacht, und jetzt geht das alles wieder von vorn los. Bloß wegen
irgendeinem verdammten Schleimscheißer, der ihm was anhängen will. Er ist
einfach … durchgedreht. So was kommt vor.«
    »Scheiß auf ihn«, sagte Nate, der Tig langsam ernsthaft auf die
Nerven ging. »Coker sollte ihm einfach einen sauberen Kopfschuss verpassen, und
das war’s dann.«
    »Nate, nimm’s mir nicht übel, aber du bist wirklich ein Arschloch«,
sagte Tig, eher traurig als wütend. Er gab ihn als hoffnungslosen Fall auf und
wandte sich wieder dem Fernseher zu, wo die Krise, wie es schien, auf eine Art
Höhepunkt zusteuerte.
    In Cokers Kopfhörer knisterte und knatterte es – es klang,
als wäre da drüben ein Knallfrosch explodiert, und die Kollegen auf der Straße
zuckten zusammen –, und dann hörte er die Stimme von Jimmy Candles, seine
offizielle Stimme, fürs Protokoll.
    »Coker, der Bürgermeister findet, dass die Sache beendet werden
muss. Dennison kooperiert nicht, er hat gerade einen Warnschuss in die Decke
abgegeben, die Kinder sind halb verrückt vor Angst, und der Pfarrer hat sich
gerade in die Hose gepinkelt. Der Typ wird mit jeder Sekunde unberechenbarer.«
    »Wenn du willst, erledige ich ihn, Jimmy«, sagte Coker nüchtern und
geschäftsmäßig. Er sah genauer durch das Zielfernrohr. »Ich hab ihn im
Fadenkreuz. Wann immer du willst. Vielleicht solltest du aber vorher noch mal
dein Fernglas rausholen und dir die .32er Llama ansehen, mit der er
herumfuchtelt.«
    »Moment«, sagte Jimmy. Coker nahm das Auge vom Okular und sah, wie
Jimmy Candles, der hochgewachsene Mann in der grau-schwarzen Uniform, der
mitten unter den anderen Polizisten stand, sein Fernglas hob und konzentriert
hindurchsah.
    Coker blickte wieder durchs Zielfernrohr und nahm Dennisons linke
Hand ins Fadenkreuz, die dieser jetzt, während er mit dem Verhandlungsführer
telefonierte, nicht mehr so sehr schwenkte.
    Die kleine Pistole war ein halbautomatisches Modell mit dem Auswurf
auf der linken Seite, und man konnte sehen, dass ein kleiner Messingzylinder im
Auswurfschacht steckte. Coker nahm sich Zeit und überzeugte sich davon, dass er
sich nicht geirrt hatte, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem
Hausmeister zu, der noch immer telefonierte.
    Nach eingehender Analyse kam Coker zu dem Schluss, dass er dem Typen
trotz der Fensterscheibe ein schönes rundes Loch in die Schläfe machen könnte,
ohne die Personen auf diesem grottenhässlichen Sofa zu treffen.
    Sein Blick wanderte wieder zu der Hand mit der Pistole. Ja, es
steckte eindeutig eine Patronenhülse im Auswurfschacht. Coker seufzte und
wartete. Kurz darauf meldete sich Jimmy Candles.
    »Sehe ich da eine Ladehemmung, Coker?«
    »Genau das sehe ich jedenfalls. Wenn man eine kleine Pistole wie die
da beim Schuss nicht ganz ruhig hält, fährt das Verschlussstück nicht ganz
zurück, und die leere Hülse verklemmt sich und bleibt im Auswurf stecken.«
    »Und hat er das bemerkt?«
    »Sieht nicht so aus«, sagte Coker. »Er ist mit Telefonieren
beschäftigt. Aber das wird nicht ewig dauern.«
    Er hörte das Gemurmel einer kurzen Besprechung, gedämpft durch Jimmy
Candles’ Hand, die dieser über das Mikrofon gelegt

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