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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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erledigt –, verschickte er eine Auswahl von Fotos, die er
»Die sehenswerten Titten der Littlebasket-Schlampen« taufte, anonym und über
einen Hushmail-Server in Island an die Person in Niceville, den sie am meisten
interessieren würde. Dann setzte er sich mit jener Befriedigung, die man nach
getaner Arbeit empfindet, in einen Sessel, schenkte sich ein Belohnungs-Stella
ein und schaltete mit der Fernbedienung seinen riesigen Flachbildfernseher an.
    Sekunden später war er aufgesprungen, sein Herz klopfte in der
Kehle, und das Bier war auf Hemd und Hose gelandet. Bock stand da wie
festgenagelt, und nachdem er sich vergewissert hatte, dass es sich bei dem
Geiselnehmer in der Saint Innocent Orthodox tatsächlich um einen gewissen Kevin
David Dennison handelte, war er für einen kurzen Augenblick wunderbar
beschwingt von dem Gefühl der Macht, das er empfand, von der gottgleichen
Fähigkeit, einem Menschen anonym und aus sicherer Entfernung weh zu tun.
    Nach näherer Betrachtung der Situation ließ dieses Gefühl allerdings
nach.
    Bock war ein böser, aber keineswegs dummer Mensch, und als er den
Ernst und die Tragweite des Geschehens erfasste, wich seine Beschwingtheit
einem überwältigenden Entsetzen.
    Was hatte er da in Bewegung gesetzt, und welche Auswirkungen würde
es haben, wenn die E-Mails, die diese Ereignisse heraufbeschworen hatten, zu
seinem Computer zurückverfolgt wurden?
    In seinem Kopf tauchten die Worte »vorsätzliche Gefährdung« und das
Bild einer winzigen Zelle auf, die er sich mit harten Burschen teilen musste,
wie man sie aus Gefängnisfilmen kannte.
    Er dachte – reumütig, aber nur flüchtig – darüber nach, ob er
versuchen sollte, die »Sehenswerte Titten«-Datei zurückzuholen, die er erst vor
so kurzer Zeit verschickt hatte, wusste aber, dass das hoffnungslos war. Wie so
viele andere vor ihm zu ihrem Kummer hatten feststellen müssen, war eine einmal
verschickte E-Mail so unwiederbringlich wie Schnee vom vergangenen Jahr, wenn
auch erheblich langlebiger.
    Es folgte eine missliche Stunde, in der er duschte, sich rasierte
und sich gewissermaßen zu stählen versuchte für den Augenblick, da sich Sirenen
nähern, Streifenwagen in Mrs Kinnears Einfahrt einbiegen und Megafone ihn
auffordern würden, langsam und mit erhobenen Händen herauszukommen.
    Er zog seinen besten Anzug an – den nüchternen dunklen
Geschäftsanzug, den er bei der Sorgerechtsverhandlung getragen hatte. Wann war
das gewesen?
    Herrgott, vor nicht mal vierundzwanzig Stunden.
    Jedenfalls zog er ihn wieder an, außerdem ein frisches weißes Hemd
und seine besten Schuhe. Wenn er schon festgenommen und in Handschellen
abgeführt werden sollte, dann wollte er dabei so gut wie möglich aussehen. Man
bekam nie eine zweite Gelegenheit, einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen.
    Er überprüfte auch seinen Kontostand, um sicherzugehen, dass er
genug Geld hatte, um eine Kaution stellen zu können, und ging zur Kommode, um
die Visitenkarte seiner Anwältin Ms Evangeline Barrow einzustecken.
    Barrow war keine Strafverteidigerin, aber bei Gericht gut bekannt,
und vielleicht würde es ihr gelingen, Richter Monroe davon abzuhalten, ihn im
Wind baumeln zu lassen, damit die Krähen ihm die Augen auspickten, als wären es
saftige grüne Trauben.
    Dieses grausige Bild vor Augen verbrachte er ein paar Minuten damit,
ein Shredder-Programm einzurichten, das die komplizierte Arbeit übernehmen
sollte, die Festplatte seines Computers von allen denkbaren digitalen Spuren
irgendwelcher juristisch relevanter Vorgänge zu reinigen – ein gründlicher und
glücklicherweise vollkommen automatisierter Prozess, der allerdings leider
mehrere Stunden dauern würde.
    Dann nahm Bock sich, wenn auch nicht ohne Mühe, zusammen und wandte
seine Aufmerksamkeit wieder dem Fernseher zu – er zeichnete die Sendung auf
seinem Festplattenrekorder auf –, als ein dunkelgrüner Crown Victoria sich zu
der Ansammlung von Streifenwagen vor der Kirche gesellte und ein großer,
breitschultriger Mann mit silbergrauem Haar und einem dunkelgrauen Anzug
ausstieg. Sein kantiges Gesicht war kalt und entschlossen.
    Der Typ war also in Zivil, aber offenbar ein höherer Officer, und
wurde von einer großen, rothaarigen Polizistin in Empfang genommen, nämlich von
Sergeant Mavis Crossfire, die laut der Fernsehschnepfe den Einsatz leitete.
Außerdem war da noch einer von der State Police, ein schlanker, blonder Bulle
in einer frisch gebügelten grau-schwarzen Uniform –

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