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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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anmerken.
    »Einmal – das muss man sich vorstellen – hat er das sogar mit einem
Bild unserer Mutter gemacht. Ich habe ihm gesagt, dass ich wusste, was er da
tat, und seitdem sprechen wir nicht mehr miteinander, aber er hat auch damit
aufgehört. Und das werden Sie ebenfalls, wenn Sie klug sind, und ich werde
Ihnen dabei helfen. Ich glaube, ich nehme den Red Snapper mit Wildreis. Ja, das
klingt gut. Sollen wir einen Wein dazu trinken? Einen Weißwein? Vielleicht
einen gut gekühlten Pinot Grigio?«
    All das sagte er mit ruhiger, klarer Stimme, und als er Bock die
Speisekarte reichte, lächelte er.
    Bock nahm sie mit zitternden Händen, seine Selbstgewissheit
schrumpelte zusammen, und er stellte fest, dass seine Lippen ganz starr und die
Wangen kalt und schlaff geworden waren, als wäre alles Blut daraus
verschwunden. Er fühlte sich, als würde er schmelzen, und als wäre das einzige
Feste, Stählerne, das von Tony Bock noch übrig war, ein Totschläger irgendwo
tief in seiner Unterwäsche.
    Er starrte auf die Reste des vierten Mockingbirds. Seine Hände lagen
gefaltet im Schoß und hielten die Speisekarte, und er hätte es um keinen Preis
über sich gebracht, Andy Chu in die Augen zu sehen.
    »Bitte. Sie machen den Eindruck, als wäre Ihnen nicht gut. Ich
verurteile Sie keineswegs«, sagte Chu nicht unfreundlich. »Ich habe gesehen,
dass Sie diese Bilder bis gestern nur zu Ihrem eigenen Vergnügen benutzt haben,
und wer bin ich, dass ich sagen dürfte, das sei verwerflich? Es würde mich
nicht überraschen, wenn jeder hier auf dieser Terrasse sexuelle Geheimnisse
hätte, die er nicht gern enthüllt sieht. Das ist einfach nur menschlich.«
    Chu hielt inne. Dann änderte sich sein Ton. Jetzt klang er
vorwurfsvoll.
    »Aber was Sie mit dem armen Mann in der Kirche gemacht haben und mit
den Polizisten, die ihr Leben riskiert haben, das war sehr unrecht. Und ich
glaube, Sie haben heute Morgen eine E-Mail an eine Twyla Littlebasket geschickt.
Sie hatte einen sehr großen Anhang, und nach der Übermittlung haben Sie die
Bilddateien gelöscht und geschreddert – na ja, sagen wir mal, Sie haben es
versucht. Haben Sie da vielleicht noch mehr Unheil gestiftet, Tony?«
    Bock bewegte den Mund. Er versuchte, so viel Speichel zu sammeln,
dass er sprechen konnte, denn irgendetwas musste gesagt werden, und sei es nur,
um zu verhindern, dass dieser Typ noch mehr sagte. Chu bemerkte das, reichte
ihm ein Glas Wasser und sah mit kühlem Mitgefühl zu, wie Bock es in einem Zug
austrank.
    »Sie können nicht … Ich hab alles geschreddert.«
    »Wie gesagt, Sie haben es versucht , Tony. Das meiste habe ich
wiederhergestellt. Genug.«
    »Hören Sie … Mr Chu …«
    »Bitte, nennen Sie mich Andy.«
    »Hören Sie … Andy … Das ist … Das können wir hier nicht besprechen.
Wir sollten –«
    Die Kellnerin mit dem Eiskugeldekolleté erschien und lächelte auf
sie herab. Chu bestellte den gegrillten Red Snapper mit Wildreis und, nach
einem kurzen Seitenblick auf Bock und dessen Zustand, einfach noch einmal
dasselbe.
    »Und eine Flasche Santa Margherita, gut gekühlt, bitte.«
    Die Kellnerin strahlte sie noch ein wenig an und verschwand. Chu sah
Bock über die Brille hinweg an und lehnte sich zurück.
    »Da Ihnen das Sprechen offenbar schwerfällt, sollte ich Ihnen
vielleicht sagen, was mir so durch den Kopf geht. Ist das okay? Müssen Sie eine
Tablette oder so nehmen? Nein?«
    Bei seinem Spaziergang über Bocks Festplatte war er auch auf dessen
medizinische Unterlagen gestoßen. Bock hatte ein ernsthaftes Cholesterinproblem
und würde, wenn er über die fünfzig hinauskommen wollte, irgendwann vermutlich
diverse Stents eingesetzt bekommen. Das Letzte, was Chu jetzt brauchen konnte,
war Tony Bock mit einem Myokardinfarkt.
    Er wartete, betrachtete angelegentlich Bocks Gesichtsfarbe, die nun
irgendwo zwischen blass und bleich lag, und kam zu dem Schluss, dass dessen
Zeit noch nicht gekommen war.
    »Gut. Also, diese Scham, die Sie gerade empfinden, Tony – das ist
ein gutes Zeichen. Wenn Sie ein wirklich schlechter Mensch wären, würden Sie
sich nicht halb so sehr schämen. Wie gesagt, diese Sex-Sachen verurteile ich
nicht. Ich bin Chinese, aus Macao, einer der am dichtesten besiedelten Städte
der Welt. Was glauben Sie, woher diese vielen Menschen kommen?«
    Chu wartete auf ein Lächeln, doch Bock stierte ihn nur an und
keuchte, dass es klang wie ein Frosch.
    Chu fuhr fort und sprach wie einer, der eine Sache lange bedacht
hat, was ja

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