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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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beeindruckende Dienstmarke aus verchromtem Neusilber und einen
laminierten Dienstausweis – beides aus dem Versandhaus – dabei, die ihn als Mitarbeiter
einer Kautionsagentur auswiesen und ihm all die Autorität verliehen, die
solches Versandhauszeug einem verleihen konnte.
    Und außerdem hatte er sicherheitshalber einen im Griff versenkbaren
Totschläger in den hinteren Bund seiner Hose gesteckt.
    Taktisch war das keine sehr gute Maßnahme gewesen, denn das Ding
rutschte ihm in die Poritze. Das nächste Mal würde er es in die Tasche stecken,
aber jetzt war es dafür zu spät.
    Im Großen und Ganzen aber war Bock mit seinen sorgfältigen
Vorbereitungen sehr zufrieden, und er verspürte die Art von Kraft, die einem
die Einnahme von drei Tequila Mockingbirds innerhalb einer halben Stunde
verleiht. Er war inzwischen sehr zuversichtlich, dass er, sollte die Situation
kühnes, entschlossenes Handeln erfordern, bereit und in der Lage sein würde, zu
tun, was getan werden musste, um das hehre Ziel zu erreichen: dass Tony Bock
mal wieder seinen dämlichen Kopf aus der Schlinge zog.
    Im Verlauf der nächsten Stunde, während deren Bock einen vierten
Mockingbird trank, füllten sich die Tische mit fröhlich plappernden
Collegestudenten in kreischbunten Hemden, Cargohosen und verkehrt herum
aufgesetzten Baseballmützen.
    Bock sah einem Typen zu, dessen Mützenschirm ihm über den Nacken
hing und der seine Augen mit der linken Hand beschattete. Was für ein Volltrottel –
setz die Mütze doch richtig auf, du Dumpfbacke.
    Er musterte den Typen noch immer voller Verachtung, als ein schmaler
Schatten über seinen Tisch fiel. Er blickte auf und sah die Silhouette eines
schmächtigen Kerlchens in einem kurzärmligen weißen Hemd und einer beigen
Nerdhose.
    Bock, der vergessen hatte, dass auch er seine Baseballmütze verkehrt
herum aufgesetzt hatte, beschattete mit der linken Hand die Augen: Vor ihm
stand ein zierlicher Asiat, bartlos, mit einer eng anliegenden, irisierenden
Sonnenbrille und einem schüchternen Lächeln. Der Typ streckte ihm tatsächlich
die Hand hin.
    »Mister Bock, ich bin Andy Chu.«
    Bock stellte gleich klar, wer hier das Sagen haben würde, und
betrachtete die ausgestreckte Hand, als wäre sie eine tote Fledermaus. Der
junge Mann zog einen Stuhl zurück und setzte sich, noch immer lächelnd.
    »Woher wissen Sie, wer ich bin?«, fragte Bock. »Wir kennen uns
nicht. Ich weiß überhaupt nicht, wer zum Teufel Sie eigentlich sind.«
    »Ich heiße Chu. Vergeben Sie mir, wenn ich das Gefühl habe, dass wir
uns kennen«, sagte Chu, griff nach der Speisekarte und wirkte entspannter, als
es ein verdammter schlitzäugiger Zwergerpresser in Spießerkluft nach Bocks
Meinung sein durfte.
    »Ich weiß, wie Sie aussehen«, fuhr der Mann im Plauderton fort,
»weil ich die Fotos gesehen habe, die Sie von sich gemacht haben, als Sie nackt
auf dem großen schwarzen Ledersofa vor dem Computer saßen.«
    Ganz plötzlich fiel Bock keine schlagfertige Antwort ein. Sein Herz
klopfte in der Kehle und versuchte, seinen Körper durch das linke Ohr zu
verlassen. Er hörte nichts mehr, und seine Stimme war nirgends zu finden.
    Chu war voller Verständnis.
    »Versuchen Sie, ruhig zu bleiben, Tony. Ich will Ihnen nichts tun.
Aber ich habe mich tatsächlich in Ihrem Computer umgesehen. Ich habe mir Ihre
Sammlung von schmutzigen Bildern und Geschichten angesehen. Ich weiß, welche
Websites Sie besucht haben und wie lange Sie dort geblieben sind, und ich kenne
natürlich auch die Fotos, die Sie dabei von sich gemacht haben.«
    Er hielt inne, bemerkte Bocks Reaktion – der sah aus, als würde er
entweder in Ohnmacht fallen oder sich übergeben oder beides –, tätschelte
beruhigend seinen Arm und wandte sich wieder der Speisekarte zu. Während er sie
studierte, fuhr er in gelassenem Ton fort.
    »Regen Sie sich nicht auf, Tony, nehmen Sie es nicht so ernst. Das
ist alles nicht so schlimm. Ich will damit nur sagen, Tony – ich darf Sie doch
Tony nennen? –, dass ich das Gefühl habe, Sie nach zwei Stunden in Ihrem
Computer besser zu kennen als meinen älteren Bruder in Macao, der übrigens
ebenfalls gern mit Photoshop die Köpfe seiner Schwestern und Freundinnen auf
die Körper von nackten Huren überträgt.«
    Bock betrachtete seine Hände.
    An seiner Schläfe pochte eine Ader, und irgendwo tief innen ertönte
ein Alarm:
    Herzanfall
Schlaganfall Herzanfall Schlaganfall
    Sofern Chu es registrierte, ließ er es sich nicht

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