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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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Grundsätzlicheres im Gange, Kate. Böses
fordert Vergeltung, Böses gebiert Chaos und Grausamkeit. Du und ich, wir
wissen, dass schlechte Taten Nachwirkungen auf die Familien haben können. Das
sind Dinge, mit denen du bei deiner Arbeit jeden Tag zu tun hast.«
    Nach einer Weile fuhr er fort.
    »Du kennst diese Geschichte vielleicht schon. Bei den Creek- und den
Cherokee-Indianern gibt es eine Legende über einen verfluchten Ort, wo etwas
Böses lebt. Ich hab sie im Archiv gefunden, ein Mann namens Lanman hat sie um
1855 herum aufgeschrieben. Die Cherokee glauben, irgendwo in der Nähe des
Savannah – Lanman hat den genauen Ort nicht genannt – gebe es eine hohe Felswand,
und auf dem Gipfel dieser Wand befinde sich etwas, das er als ›einen
schrecklichen Riss‹ bezeichnete – seine Beschreibung liest sich so, als sei da
ein Spalt oder ein Loch im Berg.«
    »Dad, du willst damit doch nicht sagen, dass Crater Sink –«
    »Crater Sink ist länger hier als wir. Viel länger. Seit Tausenden,
vielleicht Millionen Jahren. Und es ist ein sehr eigenartiger Ort, das wirst du
zugeben. Nicht sehr überraschend, dass die Cherokee eine Geschichte darüber
haben. Wir selbst kennen ja auch Geschichten – ich meine: wir in Niceville. Wir
sagen: Nichts, was im Crater Sink verschwindet, kehrt je wieder zurück. Du hast
es gerade selbst gesagt. Du bist mit diesen Geschichten aufgewachsen. Wie wir
alle.«
    »Lagerfeuergeschichten. Gespenstergeschichten, bei denen die Kinder
sich gruseln können. In jeder Stadt gibt es unheimliche Orte.«
    »Stimmt. Aber Lanman schreibt, die Cherokee nennen dieses Loch Talulu ,
und damit wissen wir dann recht genau, wo es sich befindet. Das sind natürlich
alles nur Hypothesen. Nichts davon ist wirklich gesichert. Aber wir sind ein
bisschen vom Thema abgekommen. Meine Unterlagen sind doch immer noch bei euch,
oder? Im Keller?«
    »Ja.«
    »Die Familien hatten eine große Zusammenkunft auf Johnny Mullrynes
Plantage in Savannah. Das war 1910. Es gibt ein Foto, auf dem alle zu sehen
sind. Auf der Rückseite steht etwas geschrieben. Ich glaube, damals hat das
alles angefangen.«
    »Was steht denn da auf der Rückseite?«
    »Die Namen der Leute auf dem Foto. Ein Name ist unterstrichen, und
neben dem Namen steht ein einzelnes Wort: ›Schande‹.«
    »Und wie lautet der Name?«
    »Ich habe ihn schon erwähnt. Abel. Abel Teague.«
    »Derselbe Nachname wie bei Rainey Teague?«
    »Ja. Obwohl Rainey, wie wir wissen, adoptiert wurde. Miles Teague war Abel Teagues Enkel.
Abel Teagues Vater war Jubal Teague, und dessen Vater hieß London
Teague. In den vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts besaß London
Teague im Süden von Louisiana eine Plantage namens Hy Brasail. Es gab damals
Gerüchte, London Teague habe seine dritte Frau ermorden lassen. Sie hieß Anora
Mercer – nach ihr ist der Golfclub benannt. Es gibt historische Quellen, aus
denen hervorgeht, dass Anoras Pate John Gwinnett Mercer sich wegen ihres Todes
mit London Teague duelliert hat. Wie du siehst, haben die Teagues eine ziemlich
bunte Vergangenheit. Du hast doch noch die Adoptionsunterlagen?«
    »Natürlich. Du fragst mich ja immer danach.«
    »Wo bewahrst du sie auf?«
    »Sie sind in Raineys Akte in der Kanzlei.«
    »Du hast sie dir doch noch mal angesehen, oder? Um sicher zu sein,
dass er der Alleinerbe ist.«
    »Ja. Mit der gebotenen Sorgfalt.«
    »Natürlich. Seine leiblichen Eltern, die Gwinnetts, sind bei einem
Brand ums Leben gekommen, nicht?«
    »Ja. Als er zwei war. Sie hatten eine Farm außerhalb von Sallytown.
Sie haben Clydesdales gezüchtet. Das Heu im Stall geriet in Brand. Sie sind
umgekommen, als sie versucht haben, die Pferde in Sicherheit zu bringen. Es gab
keine anderen Verwandten, und so kam Rainey zu einer Pflegefamilie.«
    »In Sallytown?«
    »Ja.«
    »Hast du das alles überprüft?«
    »Eigentlich nicht. Aber so weit ich es feststellen konnte, waren die
Papiere in Ordnung.«
    »Hast du mit Raineys ehemaligen Pflegeeltern gesprochen?«
    »Nein. Man hat mir gesagt, sie seien ein Jahr nach der Adoption in
einen anderen Bundesstaat gezogen. Ich habe versucht, sie aufzuspüren – damit
ich Rainey eines Tages von ihnen erzählen könnte, sollte er mich nach ihnen
fragen –, aber es ist mir nicht gelungen.«
    »Erinnerst du dich an ihren Namen?«
    »Ja. Palgrave. Zorah und Martin.«
    »Keine Spur von ihnen? Von keinem von beiden?«
    »Ich konnte jedenfalls keine finden. Aber ich habe auch nicht allzu
gründlich

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