Niceville
auch der Fall war.
»Okay, lassen Sie es mich so sagen: Wir verständigen uns darauf,
dass … Ach, übrigens: Ich habe vollständige Kopien sämtlicher Dateien auf Ihren
Festplatten – nur damit wir da auf demselben Stand sind, Sie verstehen schon.«
»Wie … wie haben Sie …?«
Chu lächelte ihn an.
»Tony, es gibt Amateure, und es gibt Profis. Sie sind ein Amateur.
Ich habe sechs Jahre Hauptstudium an MIT und Cal Tech hinter mir, und in dieser Zeit habe ich mich ausschließlich mit
den Schnittstellen zwischen Computer und Internet befasst. Sie sind, wenn ich
es recht verstanden habe, Energieberater bei den Stadtwerken von Niceville,
stimmt’s? Und vorher waren Sie auf dem East-Central-Mid-State-College?«
Bock sank weiter in sich zusammen, und Chu fuhr fort.
»Jedenfalls, zu Ihrer Information: Diese sogenannten
Hushmail-Server, selbst die in Island, wo in Hinblick auf das Internet
Gesetzlosigkeit herrscht, werden alle überwacht. Gewisse Agenturen haben
virtuelle Wächter an den Toren zu diesen Portalen postiert, und wenn jemand
hineingeht, wird seine IP- Adresse notiert. Ich habe keine
fünfzehn Minuten gebraucht, um Sie zu orten, und nicht mal halb so lange, um
Ihre Firewall zu überwinden und Ihren Rechner zu übernehmen. Ich sehe, dass Sie
das nicht gern hören, also würde ich Ihnen am liebsten sagen, warum ich hier
bin. Soll ich?«
Das Essen wurde serviert, und Chu machte sich mit Appetit darüber
her. Bock brachte nur Wein hinunter – essen kam nicht in Frage.
Die meiste Zeit dachte er: Flieh, flieh, flieh …
Wechsle
den Namen.
Wechsle
die Stadt.
»Zunächst mal, Tony: Ich will Sie nicht erpressen.«
Bock, der gerade sein Glas austrank, starrte Chu durch den Boden
hindurch an und setzte es ab.
»Nicht?«
»Nein. Nehmen Sie’s mir nicht übel, Tony, aber ich weiß auf den
Penny genau, was Sie verdienen, was auf Ihrem Bankkonto und in Papieren
angelegt ist, was Sie an Miss Dellums und für Ihre Tochter bezahlen müssen und
wie hoch die Miete ist, die Miss Kinnear von Ihnen bekommt. Tony, mein Freund,
ich verdiene das Zehnfache. In manchen Jahren das Zwanzigfache. Ich habe in
Aktien investiert. Für einen Mann in den Dreißigern ist meine finanzielle Situation
sehr angenehm.«
In
den Dreißigern? , dachte Bock. Ich hätte dich auf fünfzehn
geschätzt .
»Ich bin also nicht an Ihrem Geld interessiert. Wissen Sie, was ein
H1-Visum ist, Tony?«
Bock schüttelte den Kopf, in dem immer nur der Satz Ich will
Sie nicht erpressen widerhallte.
»Okay, H1-Visa werden normalerweise nur an Leute vergeben, die über
außergewöhnliche Kenntnisse in einem hochspezialisierten Wissensgebiet verfügen – zum Beispiel auf dem Gebiet der Informationstechnologie. An jemanden wie
mich. Ich bin Staatsangehöriger der Volksrepublik China, und mein Aufenthalt in
den USA liegt, kurz gesagt, im Ermessen meines Arbeitgebers. Die Bestimmungen besagen,
dass ein H1-Visum nur gültig ist, solange eine sogenannte Arbeitsbestätigung
vorliegt. Die Einzelheiten sind kompliziert, aber im Grunde ist es so, dass
mein Arbeitgeber mir die Arbeitsbestätigung vorenthalten kann, und dann ist
mein Visum futsch. Ich kann Einspruch erheben, aber wenn mein Arbeitgeber
Einfluss besitzt, kann er erwirken, dass ich in mein Heimatland zurückgebracht
werde und mich erneut um ein H1-Visum bewerben muss. Können Sie mir folgen?«
»Ja, ich glaube schon.«
»Gut. Einfach ausgedrückt: Mein Arbeitgeber und ich verstehen uns
nicht gut, aber ich will nicht in die Volksrepublik China zurückkehren.«
»Im Augenblick nicht?«
»Weder im Augenblick noch sonst irgendwann. Um ehrlich zu sein: Wenn
meine Deportation nach Macao unausweichlich wäre, würde ich mich erschießen.«
»Oh«, sagte Bock. »Sie wollen wirklich nicht zurück, was? Warum?«
Chu musterte Bock eine Weile.
»Ich will Ihnen keinen langen Vortrag halten. Ich mache es einfach.
Abgesehen von dem sehr schwerwiegenden persönlichen Umstand, dass ich und mein
Bruder, der in Macao so was wie ein Gangster ist, uns nicht gut verstehen, bin
ich in Amerika ein freier Mensch. In China dagegen bin ich ein Taschentuch:
Jeder, der Macht über mich hat, darf sich mit mir die Nase putzen und mich
danach wegwerfen. China ist also kein freies Land. Jeder weiß, dass es ein geschäftiges Land ist, eine bienenfleißige Nation, wo jede Menge Geld gemacht wird. Niemand
im Westen kümmert sich darum, wie diese Nation ihre bienenfleißigen Menschen
behandelt. In China kann man jetzt
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