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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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beobachtete sie. Wartete sie?
    Kate hörte eine Stimme, die in ihrem Kopf zu sein schien, eine
vertraute Stimme, auch wenn sie jahrelang geschwiegen hatte.
    Lenores Stimme.
    Kate ,
sagte ihre tote Mutter, geh nicht da rein.
    Wütend über diesen unvermittelten Anfall weiblicher Hysterie, den
sie offenbar gerade erlebte, sagte Kate unwillkürlich laut: »Herrgott, Mom –
ich bin doch kein Kind mehr.«
    Die Antwort kam mit einer Stimme, die weniger wie die ihrer Mutter
und mehr wie ihre eigene klang.
    Das
da auch nicht.

Byron Deitz motiviert seine Leute
    Deitz wartete im schwindenden Nachmittagslicht vor dem
Kwikky Kleen Kar Kare am Long Reach Boulevard und sah auf den vom Regen
angeschwollenen Tulip, der sich durch sein schlammiges Bett wälzte. Die breite
Fläche des Flusses war braun, seine Oberfläche war geriffelt, die Strömung ließ
das Wasser wallen.
    Deitz trank einen Limeslush und wartete darauf, dass der drahtige
kleine Filipino das Blut, das aus Llewellyns Nase getropft war, vom Ledersitz
des Humvees putzte.
    Er hatte einen neuen Blackberry und versuchte das Ding dazu zu
bringen, eine Nummer für ihn zu wählen, aber irgendwie wollte es nicht. Er
musste die Nummer Ziffer um Ziffer mit dem Daumen eintippen. Er hatte sehr
große Daumen, und es fiel ihm nicht leicht.
    Schließlich hatte er die Nummer seiner IT -Abteilung
eingegeben.
    »Ist Chu da?«
    Kurzes Schweigen, so dass Deitz erneut Gelegenheit hatte, sich zu
fragen, woher zum Teufel dieses Nussknackergeräusch kam.
    »Am Apparat, Sir.«
    »Chu, haben Sie schon irgendwas für Tig Sutter?«
    »Ich fürchte nein, Sir, noch nicht. Es ist sehr kompliziert. Der
Absender war –«
    »Ich brauche was für Tig, Chu«, sagte Deitz. Es klang wirklich wie
ein Knurren. »Und zwar verdammt schnell. Tig muss mir einen großen Gefallen
tun. Ich brauche es schleunigst. Das ist also nicht der richtige Zeitpunkt,
wieder mal Scheiße zu bauen – haben wir uns verstanden?«
    »Ich werde ganz bestimmt nicht wieder mal Scheiße bauen, Sir. Ich
arbeite sehr hart daran.«
    »Wie lange dauert’s noch?«
    »Bis Ende des Tages, hoffe ich.«
    Das Nussknackergeräusch in Deitz’ Kopf war plötzlich sehr laut, und
das Braun des Flusses bekam einen rötlichen Ton.
    »Bis Ende
des Tages ? Soll das ein Witz sein? Ich will es jetzt, verstanden?
Wenn ich in einer Stunde nichts von Ihnen gehört habe, können Sie Ihre Sachen
packen, kapiert?«
    Ein längeres Schweigen. Deitz fragte sich, wo er einen IT -Mann
auftreiben sollte, der so gut war wie Chu, kam dann aber zu dem Schluss, dass
es mehr als genug Computertypen gab, die genauso gut waren wie Chu. Vielleicht
sogar besser. Aber als guter Manager musste man seine Leute motivieren.
    »Kapiert, Sir.«
    »Hab ich mich scheißklar ausgedrückt?«
    »Ja, Sir. Sie haben sich … äußerst klar ausgedrückt.«
    »Gut. Dann machen Sie sich an die Arbeit«, sagte Deitz und legte
auf.
    Er stand da, starrte auf das Display und dachte, wie es ihm in
letzter Zeit zur Gewohnheit geworden war, schwarze und komplizierte Gedanken.
Gerade ließ er alle Träger blauer Cowboystiefel, die er je gesehen hatte – es
waren nicht sehr viele –, vor seinem geistigen Auge vorüberziehen, als jemand
mit einem eigenartigen Akzent seinen Namen rief.
    Er drehte sich zur Straße um, wo ein langer schwarzer Lincoln Town
Car – das Modell, das wie eine traurige Schildkröte aussah – am Bordstein stand
und ein schmales, gelbliches Gesicht aus dem hinteren Seitenfenster sah. Noch so
ein verdammtes Schlitzauge . Es war ein Asiat mit einem zu groß
wirkenden, vollkommen kahlen Schädel und zusammengekniffenen Augen, so schwarz
wie Knöpfe, der Deitz mit deutlichem Missfallen musterte. Seine Stirn war hoch
und wellig, die Wangenknochen waren unregelmäßig stark ausgeprägt, die Nase sah
aus wie ein zerquetschter Pilz und der Mund über dem gar nicht ins Bild
passenden winzigen Bärtchen zwischen Kinn und Unterlippe war dünn wie ein
Strich.
    Deitz warf den Becher mit dem Slush in den Tulip und ging zum
Bordstein. Sein Gesichtsausdruck war nicht freundlich, und diese unerwartete
Begegnung besserte seine Laune nicht.
    »Ich bin Byron Deitz. Und wer sind Sie?«
    Der Schädel nickte und zeigte die Zähne, kleine Kinderzähne, von
Tabak verfärbt. Dahinter war in dem roten Mund die dicke weiße Zunge zu sehen –
sie wirkte wie eine Muräne in einer Felsspalte.
    »Wollen Sie sich nicht zu mir setzen?«, sagte der Mann, öffnete die
Tür und rutschte auf dem Rücksitz

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