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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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Apparate
geben alle möglichen Alarmtöne von sich, und mitten in dem Durcheinander hört
er Rainey weinen und nach einem Mann namens Abel Teague fragen. Keiner wusste,
wer das sein sollte – vielleicht ein Verwandter. Es war jedenfalls alles
ziemlich chaotisch, aber jetzt will Lemon noch mal mit Nick sprechen. So bald
wie möglich. Und darum telefoniere ich herum und –«
    Kate unterbrach sie.
    »Hast du gesagt Abel Teague?«
    »Ja. Abel Teague.«
    »Rainey hat nach einem Mann namens Abel Teague gefragt?«
    »Ja. Du klingst so merkwürdig.«
    »Ich fühle mich auch merkwürdig.«
    Keine
Zeit, Lacy das alles zu erklären.
    »Hast du es mal mit seinem Piepser probiert?«, fragte Kate.
    »Seinem Piepser ? Wer hat denn heute noch einen
Piepser?«
    »Nick hat einen. Eigentlich nur, damit ich ihn erreichen kann. Er
hasst sein Handy und manchmal schaltet er es in der Mittagspause einfach aus.
Aber der Piepser ist immer an, falls ich ihn dringend brauche.«
    »Dann tue ich das lieber nicht. Aber wenn Nick sich bei dir meldet,
dann sag ihm bitte, dass er mich so schnell wie möglich anrufen soll. Lemon ist
furchtbar aufgeregt.«
    »Das tue ich, Lacy. Und das mit Rainey ist doch eine gute Nachricht,
oder?«
    »Das hoffe ich sehr. Sagt dir der Name Abel Teague irgendwas?«
    »Warum fragst du das?«
    »Weil deine Stimme so angespannt war, als ich ihn genannt habe. Was
ist los?«
    »Ja. Der Name sagt mir was.«
    »Was?«
    »Wenn ich es weiß, werde ich’s dir sagen.«
    »Versprochen?«
    »Versprochen. Bis dann.«
    Kate starrte das Telefon an und überlegte, ob sie die Nummer des
Piepsers wählen sollte.
    Aber Lacy hatte recht. Das Rufzeichen würde Nick erschrecken. Wenn
er gerade am Steuer saß, würde er vielleicht das Lenkrad verreißen, von der
Straße abkommen und sterben.
    Andererseits … Rainey Teague.
    Aufgewacht.
    Sie war noch immer unschlüssig, was sie tun sollte, als sie
bemerkte, dass jemand am Ende des Rasens stand, unter den Fichten, halb im
Schatten der schlanken Bäume, ein Mädchen, ein halbwüchsiges Mädchen, eine
junge Frau, die mit hängenden Armen unverwandt auf die Fenster des
Wintergartens starrte, ganz still und mit ernstem, entrücktem Gesicht.
    Kate legte das Telefon beiseite, erhob sich und ging zur Glastür,
die zum Garten führte. Sie trat auf den Rasen und beschattete die Augen mit der
Hand gegen die Nachmittagssonne. Das Mädchen stand einfach so da, etwa dreißig
Meter entfernt. Es trug ein blassgrünes, mit Mohnblüten, Rosen oder Erdbeeren
bedrucktes Sommerkleid.
    Wie
das Mädchen in meinem Traum.
    Vielleicht passte sie aber auch nur ihre Erinnerung an die Gegenwart
an – so etwas kam oft vor. Sie unterdrückte einen abergläubischen Schauer und
straffte sich. Sie würde sich nicht wie ein verängstigtes Kind in ihrem Haus
verstecken.
    »Hallo«, rief sie, ging über den Rasen auf das Mädchen zu und
fürchtete fast, es zu vertreiben. »Haben Sie sich verlaufen?«
    Kate war barfuß und spürte das grüne Gras, kühl und nass vom Regen,
zwischen den Zehen. Jetzt waren es noch fünfzehn Meter bis zu dem Mädchen, das
sie mit kühlen haselnussbraunen Augen musterte, die vollen roten Lippen leicht
geöffnet, als wäre es … hungrig. Kate sah, dass es alt genug war, um eine
ausgesprochen weibliche, sinnliche Figur zu haben.
    Das Mädchen in ihrem Traum war ein Kind gewesen.
    Oder nicht?
    Kate war jetzt nahe genug, um zu sehen, dass die Blumen auf dem
blassgrünen Sommerkleid keineswegs Blumen, sondern Flecken waren, rote,
unregelmäßig geformte Flecken. Sie hatte genug hübsche junge Frauen in Kleidern
mit solchen Flecken gesehen, um zu wissen, wie getrocknetes Blut aussah.
    »Wie heißen Sie? Hat jemand Ihnen weh getan? Kommen Sie, dann können
Sie sich waschen …«
    Das Mädchen – die junge Frau – drehte sich abrupt um und trat in das
Dunkel des Waldes, ein blassgrünes Flackern in den violetten Schatten.
    Verdammt ,
dachte Kate und sah auf ihre nackten Füße, barfuß kann ich dir nicht
folgen.
    Kate hielt einen Augenblick inne und überlegte, ob sie zum Haus gehen
und Schuhe anziehen oder einfach in den Wald laufen und versuchen sollte, die
junge Frau, die offensichtlich Hilfe brauchte, zu finden.
    Da unten gab es nichts als den Bach, der voller schlüpfriger Steine
und bemooster Wurzeln war, und auf der anderen Seite den Hügel, viel zu steil,
um ihn zu erklettern.
    »Kommen Sie bitte zurück.«
    Tief in den Schatten sah Kate eine Gestalt. Die Frau war dort, im
Wald, und

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