Niceville
Park voller stummer
Gestalten, die unter den Bäumen herumstanden. Merle zählte mindestens fünfzig
Personen, darunter ein paar Frauen, aber keine Kinder – es waren jedenfalls
viel mehr als die zwei Dutzend Männer, die mittags mit dem Bus gekommen waren.
Einige rauchten, manche hatten silberne Flachmänner dabei, die sie
schweigend herumgehen ließen.
Glühwürmchen flimmerten in der Sommernacht, und die Lichter der
Stadt schienen heller zu werden. Hoch über ihnen funkelten Sterne, und die
Nachtmagnolien verströmten ihren Duft.
Das Spanische Moos erbebte in der duftgeschwängerten Brise, und in
der blausamtenen Finsternis über Merles Kopf knarzten und stöhnten die Äste der
Eichen.
Um Viertel vor elf bog der Blue Bird Bus ächzend um die Ecke und kam
mit quietschenden Bremsen zum Stehen. Der Fahrer stieg aus und sah die
Passagiere, die sich gesittet in einer Schlange anstellten, lächelnd an. Alle
wurden mit einem freundlichen Wort begrüßt. Als jeder einen Platz gefunden
hatte, setzte der Fahrer sich ans Steuer, legte den Gang ein und fuhr davon in
die Dunkelheit jenseits der Stadtgrenze.
Coker und Charlie Danziger schauen die Lilien auf dem Felde
Coker
besaß eine Art inoffizielle Apotheke, um etwaigen Fällen einer Überdosis
Realität begegnen zu können, wie Twyla Littlebasket sie zweifellos erwischt
hatte. Sie hatte auf seinem Sofa geheult wie ein Schlosshund, und nun lag sie
zusammengekrümmt da und starrte die beiden Männer, die vor dem Sofa standen, untröstlich
und aus großen braunen Augen an.
Als Zahnarzthelferin trug sie einen Kittel – ihrer war eng und
hellblau, vorn geknöpft und hinaufgerutscht.
Der Anblick einer hübschen jungen Frau in diesem Zustand
semi-erotischer Entkleidung machte es beiden Männern irgendwie schwer, die
Pistole zu ziehen und sie an Ort und Stelle zu erschießen, was, da stimmten sie
überein, die einzige vernünftige Vorgehensweise gewesen wäre – immerhin hatte sie
das Zeug auf der Küchentheke gesehen. Aber auch harte Männer stießen an
Grenzen, jedenfalls solange sie nicht ein paar Gläser Jim Beam intus hatten.
Anstatt sie zu erschießen, hatte Coker also ein paar Valium
hervorgekramt, die er gerecht unter Twyla und Danziger aufteilte. Er sah zu,
wie Danziger Twyla mit einer weichen Decke zudeckte und ihr sanft über die
Wange strich, bis sie in einen unruhigen Schlaf fiel.
Dann wechselten Coker und Danziger einen Blick, schüttelten den Kopf
und traten hinaus in das goldene Nachmittagslicht. Sie gingen die Einfahrt
entlang bis zur Straße, wo sie stehenblieben, um zu rauchen und sich zu
beraten.
Sie zündeten ihre Zigaretten an und betrachteten all die Zivilisten
an der von Bäumen beschatteten Straße, all diese Bürger mit ihren Gärten, ihren
Rasenflächen, ihren unkomplizierten Existenzen.
»Ich wette, dass keiner von denen heute Abend noch eine
Zahnarzthelferin umbringen muss«, sagte Coker und beobachtete einen leicht
betrunken wirkenden Vater, der seinem kleinen Sohn beizubringen versuchte, wie
man die Motorsense startete.
»Wohl eher nicht«, sagte Danziger.
Sie schwiegen, inhalierten den Rauch der Zigaretten und spürten, wie
das Nikotin, die Valium und der Jim Beam ihr gutes Werk taten.
Die Sonne schien warm auf ihre Wangen, und ein schimmernder Dunst
lag in der Luft. Es roch nach Blumen, gemähtem Gras und Grillrauch.
»Wie würdest du’s denn machen?«, fragte Coker.
Danziger nippte an seinem Whiskey und sah auf seine blutbespritzten
blauen Stiefel, was ihn daran erinnerte, dass er Coker erzählen musste, welchen
hässlichen Ärger sie am Hals hatten.
»Du meinst Twyla?«
Coker nickte.
»Im Augenblick wär’s vielleicht am besten, wenn sie sich eine
Überdosis verpasst hätte, nachdem sie diese E-Mail mit den Nacktfotos gekriegt
hat.«
»Ich könnte das verstehen«, sagte Coker und dachte an die Fotos.
»Was für ein perverser alter Scheißkerl. Der gute alte Morgan Littlebasket, die
Stütze der Cherokee-Gemeinde.«
»Wer hat ihr die Fotos geschickt?«, fragte Danziger.
»Und wie ist er an sie gekommen?«
»Das sind gute Fragen. Wir werden uns später damit befassen. Ich
dachte gerade, vielleicht sollten wir zuerst Morgan Littlebasket umbringen. Und
sie dabei zusehen lassen.«
»Vielleicht könnten wir sie es tun lassen?«, sagte Coker. »Das wäre
doch bestimmt eine schöne Genugtuung. Und dann, wenn sie davon noch ganz high
ist, legen wir sie um.«
Er dachte darüber nach und schüttelte dann den Kopf.
»Nein, ich
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