Niceville
zusammensteckten und eifrig magische Medizinworte flüsterten.
Der Junge sprach weiter.
»Ich will meine Mom sehen«, sagte er.
»Ich weiß. Du liebst deine Mom.«
»Ist sie hier?«
»Nein, sie ist nicht hier«, sagte Lemon, der den Jungen nicht
belügen wollte.
»Kommt sie bald?«
»Sie liebt dich sehr«, sagte Lemon. »Darf ich dich was Wichtiges
fragen, Rainey?«
Der Junge sah ihn blinzelnd an.
»Ja, Lemon«, sagte er und gähnte.
»Als du aufgewacht bist, war da jemand hier?«
Schweigen. Dann ein Flüstern: »Du meinst vorhin?«
»Ja.«
»Da war ein Mann.«
»Kanntest du ihn?«
»Er heißt Merle.«
»Merle?«
»Ja.«
»War er nett?«
Rainey zögerte, als wüsste er nicht, wie er diese Frage beantworten
sollte.
»Er war nicht böse.«
»Hat er dir Angst gemacht?«
»Nein. Er hat mich geweckt.«
»Er hat dich geweckt?«
»Ja. Er hat mich gerufen.«
»Das war alles? Er hat dich einfach gerufen?«
Rainey versuchte zu nicken, doch seine Muskeln waren noch zu
schwach. Es würde Wochen voller Physiotherapie dauern, bis er sich würde
aufsetzen können, dachte Nick. Kate würde sich darum kümmern. Sie würde dafür
sorgen, dass Rainey alles bekam, was er brauchte. Das Vermögen, das er erbte,
war dank ihrer Verwaltung größer als vor einem Jahr. Rainey Teague war ein sehr
reicher junger Mann.
»Er hat einfach ein paarmal meinen Namen gerufen. Ich habe ihn
gehört und bin … zurückgekommen.«
»Zurückgekommen? Kannst du dich erinnern, wo du warst?«
»Auf einer Farm.«
Lemon sah über die Schulter zu Nick und wandte sich wieder Rainey
zu.
»War das so was wie ein Park?«
Rainey versuchte, den Kopf zu schütteln.
»Nein. Eine Farm.«
»Eine Farm.«
»Ja. Und da war eine Frau. Und ein riesig großes Pferd. Braun, mit
einer langen blonden Mähne und großen weißen Hufen. Es hieß Jupiter.«
Nick hörte das und dachte an das große Pferd, das Freitagabend am
Patton’s Hard an ihm vorbeigaloppiert war.
Ein
riesig großes Pferd. Braun, mit einer langen blonden Mähne und großen weißen
Hufen.
Der Gedanke daran trug ihn in Regionen, die er nicht gern betrat,
und so schob er ihn beiseite. Vielleicht würde er sich später damit befassen,
allerdings nur, wenn er es nicht vermeiden konnte.
Lemon fuhr fort.
»Kannst du dich an den Namen der Frau erinnern?«
»Ja, sie hieß … Glyn… Glynis.«
»Glynis. War sie nett?«
»Sie war nicht böse. Sie hatte was zu sagen. Aber ich will nicht
über sie sprechen. Sie würde das nicht wollen.«
»Okay, dann sprechen wir nicht über sie. Hat Merle noch irgendwas
anderes gesagt, als er dich geweckt hat?«
Eine Pause.
Die trockenen Lippen des Jungen bewegten sich, und Lemon hielt ein
Glas Wasser mit einem gebogenen Strohhalm an seinen Mund. Rainey trank, gab
seiner Schläfrigkeit nach und schloss die Augen. Die Ärzte wollten ans Bett
treten, doch Lemon hob abwehrend die Hand, worauf sie stehenblieben.
»Merle hat gesagt, ich soll nach einem Mann fragen.«
»Hat er gesagt, wie der Mann heißt?«
»Ja. Er heißt Abel. Wie der in der Bibel.«
»In der Geschichte von Kain und Abel?«
»Ja. Abel war der gute.«
»Als du aufgewacht bist, hast du auch den Nachnamen des Mannes
gesagt. Weißt du ihn noch?«
Abermals schloss Rainey die Augen. Nick hätte am liebsten
übernommen, auch wenn er es nicht halb so gut wie Lemon hingekriegt hätte.
Lemon stellte die Fragen sehr vorsichtig. Er versuchte nicht, den Jungen zu
beeinflussen.
»Es war derselbe wie meiner: Teague.«
»Abel Teague?«
Ein Schatten fiel über den Jungen, und er zuckte zusammen, als wäre
er geschlagen worden. Lemon setzte sich auf und sah die Ärzte an, als würde er
sie von ihrem Bann erlösen.
Sie traten an das Bett und schoben ihn beiseite. Der somalische Arzt
drückte auf den roten Rufknopf. Lemon stand auf und sah Rainey an, den die
Ärzte jetzt abtasteten und mit Nadeln stachen. Nick legte Lemon die Hand auf
die Schulter und wies mit dem Kopf zur Tür. Leise gingen sie hinaus.
Als sie die Tür schlossen, hörten sie Rainey nach seiner Mutter
fragen.
Die drei Männer standen im halbdunklen Korridor. Schwestern eilten
zu Raineys Zimmer. Sie zischten wie Gänse, und die Gummisohlen ihrer Schuhe
machten quietschende Geräusche.
Nick, Beau und Lemon traten aus dem Weg und steuerten auf den
Fahrstuhl zu. In der Eingangshalle gab es ein Starbucks-Café.
Sie bestellten drei große Becher Kaffee und setzten sich an einen
der zierlichen Metalltische. Die hohe, an einen
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