Niceville
wo er gerade ist.«
»Reed ist ein guter Junge. Er kann bloß nicht stillsitzen.«
»Ganz egal, ob er bei der State Police oder sonst wo ist – er wird
in seinem Wagen mit einer Schachtel Donuts auf seinem Hintern sitzen und mir
nicht in die Quere kommen. Ich werde nicht zulassen, dass irgendein zappeliger
Cowboy durch meine Ermittlungen trampelt. Ich meine, Professor Walker ist
gerade mal seit ein paar Stunden verschwunden …«
»Was er bisher noch nie getan hat.«
»Und er geht immer ans Handy, wenn Ihre Frau ihn anruft, selbst wenn
er in einer Vorlesung ist, und samstags telefonieren sie sonst immer –«
»Seit Jahren, ja, jeden Samstag um fünf –«
»Außer heute, denn da haben die beiden schon früher am Tag
miteinander telefoniert, und er hat gesagt, er würde in vier Stunden bei Ihnen
sein, das habe ich schon verstanden, aber Sie sind doch Detective und wissen,
wie das läuft: Solange es sich nicht um ein Kind oder eine Person handelt, die
Alzheimer oder Altersdemenz hat – und das ist bei Professor Walker ja nicht der
Fall –, können wir nicht viel mehr tun, als die Kollegen in Uniform zu bitten,
die Augen offen zu halten, und zu warten, dass er wieder auftaucht.«
»Oder auch nicht auftaucht.«
»Sobald wir sehen, dass er nicht auftaucht, setzen wir die Maschinerie in Bewegung. Sie würden dasselbe tun.«
»Ich arbeite im Augenblick an einem Vermisstenfall. Zwei alte Leute
sind gestern Abend oder heute Morgen verschwunden, hier in Niceville. Beide
waren sehr gut mit Kates Vater befreundet. Der Mann war ein Regimentskamerad
und hat mit meinem Schwiegervater die Landung in der Normandie mitgemacht, und
die Frau war eine alte Freundin der Familie. Sehen Sie, worauf ich hinauswill?«
»Ein Muster.«
»Ja. Hören Sie, Linus, ich weiß, es klingt verrückt, aber sehen Sie
sich bitte im Büro um –«
»Nick, mit allem Respekt – was glauben Sie, was ich hier tue? In der
Nase bohren? Ich sehe mich –«
Er verstummte, und Nick hörte ihn kurzatmig schnaufen, als hätte er
Asthma oder eine Erkältung.
»Was ist da?«
»Ich will nur … Okay, der Boden hier ist …«
Nick wurde es kalt ums Herz, doch er sagte nichts.
Der Mann ging hin und her, Nick konnte die Schritte hören.
»Hier ist ein Fleck auf dem Boden, als wäre da etwas verschüttet
worden, das den Lack verätzt hat.«
Nick konnte sich nicht mehr beherrschen.
»Fühlt sich der Boden warm an?«
»Warm? Sie meinen, wenn man ihn anfasst?«
»Ja.«
»Einen Moment.« Das Knarzen von Leder, das Schnaufen wurde noch
kurzatmiger. »Ja, tatsächlich. Ich meine, man kann es gut spüren.«
»Vergleichen Sie es mit einer anderen Stelle. Stellen Sie fest, ob
sich der Boden da, wo der Fleck ist, wirklich wärmer anfühlt.«
Noch mehr Geräusche.
»Ja. Ja, es ist eindeutig … Moment mal. Da ist was unter dem
Schreibtisch … wahrscheinlich dorthin gerollt …«
Wieder Knarzen, der Mann atmete schwer, als er unter den
Schreibtisch kroch. Nick fragte sich, warum die Leute immer die Luft anhielten,
wenn sie sich bückten, um etwas vom Boden aufzuheben. Darum wurden sie dann so
rot im –
»Kleine Metallstifte. Einigermaßen alt.«
Nicks Geist machte einen kurzen Ausflug nach Tahiti, weil Tahiti
weit entfernt und angeblich ein sehr schöner Ort war, wo man alles Hässliche
des Lebens hinter sich lassen konnte, und Nick musste ihn einfangen und zurück
ins Hier und Jetzt schleifen.
»Kleine Stifte. Okay. Wie viele?«
»Mal sehen … Fünf, nein sechs.«
»Aus Stahl? Ungefähr fünf Zentimeter lang?«
»Ja. Aus rostfreiem Stahl.«
Nick durfte es nicht einfach sagen – er musste den Mann überzeugen.
»Kates Vater hat sich jedes Jahr medizinisch untersuchen lassen. In
der Klinik des VMI .
Ich werde Ihnen jetzt etwas sagen, das total verrückt klingt, also muss ich
Ihnen klarmachen, dass ich nicht verrückt bin. Wenn ich Ihnen gesagt habe, was
ich vermute, sollen Sie in die Klinik gehen und sich Dillon Walkers
Röntgenaufnahmen ansehen.«
»Nick, in einer halben Stunde ist meine Schicht zu Ende.«
»Dillon Walker hat in einer Fallschirmeinheit gedient. 1944 ist er
über der Normandie abgesprungen. Er ist auf einer Mauer gelandet und hat sich
den rechten Oberschenkel gebrochen. Der Knochen musste genagelt werden, und die
Nägel sind nie entfernt worden.«
Schweigen. Es war jenes besondere Polizisten-Schweigen, das eintrat,
wenn der Polizist dachte: Bitte, lieber Gott, nicht schon wieder einer von diesen
scheiß
Weitere Kostenlose Bücher