Niceville
nicht mal, wie man einen Anzug trägt. Du aber schon. Und Beau wird
tun, was du ihm sagst. Wenn er groß ist, will er sein wie du. Na, komm schon.
Ich bitte dich.«
Nick schwieg. Er dachte an all die Beerdigungen, an denen er schon
teilgenommen hatte. Nicht immer hatte er dabei eine gebügelte Ausgehuniform
getragen, nicht immer hatte eine Kapelle gespielt. Manchmal hatten nur sechs
Soldaten in zerrissener Gefechtsmontur um einen rauchenden Krater
herumgestanden und Erde auf das geschaufelt, was von einem Kameraden noch übrig
gewesen war.
»Okay, ich fahre hin. Einer von ihnen war ein Freund von Reed – der
wird also auf jeden Fall hingehen. Und Kate wird bestimmt wollen, dass ich ihn
begleite.«
Seine Gedanken kehrten zu dem Banküberfall zurück.
»Untersucht eigentlich jemand den Unfall auf der Interstate?«
»Die Sache mit dem Lastwagen?«
»Ja. Irgendwas stört mich daran. Ein Lastwagen, voll beladen mit
Armierungsstahl, kippt um und blockiert sechs Spuren. Die Ladung durchbohrt
einen Kleinbus voller Kirchgängerinnen und tötet zwei. Und der Fahrer hat kaum
einen Kratzer.«
Tig sah Nick an und dachte nach.
»Du denkst an das Timing?«
»Ja. Wann ist der Unfall passiert?«
Tig blätterte in Papieren, zog einen Ausdruck hervor und überflog
ihn.
»Die Meldung kam um 14 Uhr 41.«
»Na bitte. Wann war der Überfall? Vierzig Minuten später. Das war
doch ein Mordsglück für die, oder? Praktisch alle verfügbaren Einheiten, ob in
der Luft oder auf der Straße, waren am Unfallort. Hat sich jemand den Fahrer
vorgeknöpft?«
Tig schüttelte den Kopf.
»Nicht dass ich wüsste.«
»Wie heißt er?«
Tig sah auf den Ausdruck und fuhr mit dem Finger über die
entsprechende Zeile.
»Lyle Preston Crowder. Arbeitet seit sechs Jahren für Steiger
Freightways. Keine Vorstrafen, keine Einträge wegen Alkohol am Steuer oder so.
Abgesehen von Kreditschulden, die heutzutage eigentlich jeder hat, ist er ein
völlig unbeschriebenes Blatt.«
»Wo ist er jetzt?«
»Er ist vollkommen durchgedreht. Ziemlich hysterisch. Sie haben ihm
ein Beruhigungsmittel verpasst und ihn ins Sorrows in Cap City gebracht. Da ist
er jetzt unter Bewachung.«
»Unter Bewachung? Warum?«
»Die Frauen in dem Bus hatten Ehemänner und Väter. Die Leute in
dieser Gegend regeln ihre Angelegenheiten gern persönlich. Es gab da ein paar
Gerüchte.«
»Okay, ich verstehe. Jedenfalls könntest du Boonie mal einen Tipp
geben.«
Tig nickte und notierte es auf einem gelben Block.
»Mach ich. Also gut. Arbeit. Was hast du auf der Liste?«
Nick lehnte sich zurück und trank seinen Kaffee aus.
»Ich treffe mich mit Lacy Steinert. Sie wohnt in Tin Town und sagt,
einer ihrer Klienten will über den Teague-Fall reden. Vielleicht weiß er
etwas.«
»Welcher Klient?«
»Lemon Featherlight.«
»Ich hab gehört, er hat wegen Ecstasy Ärger mit den Jungs von der DEA .
Was will er?«
»Ein Geschäft vorschlagen, würde ich sagen.«
»Und du meinst, es könnte sich lohnen?«
Nick zuckte die Schultern.
»Lacy ist in Ordnung. Wenn sie sagt, da ist was dran, kann es nicht
schaden, mal auf einen Kaffee vorbeizuschauen. Ich will, dass dieser Fall
aufgeklärt wird.«
»Ja. Ich auch.«
Mehr war dazu nicht zu sagen. Was die Sache mit Rainey Teague
betraf, waren sie sich einig, und das wussten sie auch.
»Das war vor einem Jahr, oder?«, sagte Tig, als wüsste er nicht auf
die Stunde genau, wie lange es her war.
»Heute vor einem Jahr«, sagte Nick.
»Wie geht’s dem Jungen?«
»Er ist noch immer im Lady Grace. Noch immer im Koma.«
»Wenn ich mich recht erinnere, war Rainey adoptiert. Ist Kate noch
sein gesetzlicher Vormund?«
»Ja. Sie war mit Sylvia verwandt und kennt sich in Familienrecht
aus. Die Adoption hat damals eine Anwältin namens Leah Searle geregelt. Sie ist
inzwischen gestorben. Hatte eine Kanzlei in Sallytown. Und Rainey lebte bei
Pflegeeltern dort in der Gegend. Seine beiden leiblichen Eltern waren
anscheinend bei einem Scheunenbrand ums Leben gekommen. Der Junge kam unter
amtliche Vormundschaft und wurde bei dieser Pflegefamilie untergebracht. Kate
hat die Papiere in Sylvias Unterlagen gefunden, nachdem sie …«
»Verschwunden ist«, sagte Tig, der genau wusste, dass Nick erst an
einen Selbstmord glauben würde, wenn er Sylvias Leiche vor sich hatte.
»Ja. Leah Searle ist kurz darauf gestorben, aber Kate hat alle
Papiere durchgesehen. Rainey ist der Alleinerbe. Kate hat die Vormundschaft für
Rainey übernommen, kümmert sich
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