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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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Schwefel-Königs? Oben in The Chase?«
    »Ich kenne das Haus der Cottons. Es heißt Temple Hill. Ein großer
Kasten aus gelbem Backstein mit einer Veranda rundherum und Zuckerguss an allen
Ecken und Enden.«
    »Delia Cotton ist verschwunden.«
    Nick setzte sich auf. Mit einem Mal kam wieder Leben in ihn.
    »Verschwunden?«
    »Ja. Sie hat eine Haushaltshilfe namens Alice Bayer. Die ist heute
hingefahren, um ein paar Einkäufe abzugeben. Die Tür stand sperrangelweit
offen, es lief Musik. Auf dem Tisch ein halb ausgetrunkenes Glas Scotch. Das
Haus offen und von Delia Cotton keine Spur. Die Katze ist auch weg, eine
Maine-Coon-Katze namens Mildred Pierce. Möglicherweise auch der Gärtner, er
heißt Gray Haggard. Sein Packard stand in der Zufahrt, aber auch er ist
nirgends zu finden.«
    »Verwandte?«
    »Alle tot. Sie hat vielleicht ein paar Freundinnen im Lesekreis. Die
Streifenpolizisten haben sich in der Gegend umgehört, aber null Komma nichts
gefunden. Sie ist weg, Nick. Sie und der Gärtner. Fort wie der Schnee vom
vergangenen Jahr. Das ist übrigens von Proust.«
    Nick schüttelte den Kopf.
    »Ich glaube nicht.«
    Tigs selbstzufriedenes Lächeln erstarb.
    »Nicht von Proust?«
    »Nein. Ich meine, er hat irgendwas Ähnliches gesagt, über Erinnerungen an vergangene Zeiten oder so. Aber nie über den
Schnee vom vergangenen Jahr.«
    »Wer hat’s denn dann gesagt?«
    »Ich glaube, irgendein anderer toter Froschfresser. Lass mich kurz
nachdenken. Villon. Ja. François Villon.«
    »Und was hat er gesagt?«
    Nick überlegte.
    »Ich glaube, es war: Où sont les neiges d’antan .«
    »Und das heißt?«
    »Wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr.«
    Tig war noch nicht überzeugt.
    »Bist du sicher?«
    »Ich kann's ja mal bei Google eingeben. Aber ja, ich bin ziemlich
sicher.«
    Tig machte ein unglückliches Gesicht.
    »Mann, das Zitat benutze ich seit Jahren. Jetzt komme ich mir vor
wie ein Trottel.«
    »Mach dir nicht draus. Du hast ja immer noch dein gutes Aussehen.
Wer hat den Fall eigentlich?«
    »Du hast ihn. Delia ist eine von uns. Ich kannte ihre Familie, sie
war sehr gut zu meinem Dad. Außerdem sind die Cottons eine der vier Gründerfamilien.
Und Delia ist eine echte Dame.«
    Nick stand auf und stellte den Stuhl wieder unter das Foto des
Präsidenten mit den verträumten Augen und dem in weite Fernen gerichteten
Blick.
    »Kann ich Beau haben?«
    »Beau? Der ist noch ziemlich unerfahren.«
    »Er wird keine Erfahrungen machen, wenn wir ihn keine machen lassen.
Hier sitzt er doch bloß herum, heftet Papiere ab und kriegt die Motten.«
    »Okay, nimm ihn mit«, sagte Tig. »Dann kriegt er mal ein bisschen
Praxis. Und wir sehen, was er draufhat. Noch was«, fügte er hinzu, als Nick
sich zum Gehen wandte, und sein Ton klang etwas gezwungen. »Du läufst doch
immer am Patton’s Hard entlang, oder? Unten am Fluss.«
    »Ja.«
    »Auch gestern Abend?«
    »Ja. Jeden Abend.«
    »Gestern Abend?«
    »Jeden Abend.«
    »Hast du da unten einen großen Weißen in einem blauen Trainingsanzug
gesehen? Ein richtiges Muskelpaket?«
    »Nein. Warum?«
    »Boots Jackson fährt am Patton’s Hard Motorradstreife –«
    »Ich kenne Boots. Er hat den Letzten gefunden, der Rainey gesehen
hat.«
    »Genau. Alf Pennington. Jedenfalls, Boots hat diesen Typen gegen
zwei Uhr morgens am Patton’s Hard gefunden. Sah aus, als wäre er überfallen
worden. Ziemlich übel zugerichtet, als hätte er’s mit einem Profi zu tun
gehabt. Wenn er in einen Spiegel sieht, wird er sich nicht wiedererkennen.
Rippen gebrochen. Die Nase zeigt Richtung Ohr. Wangenknochen zerbrochen wie
eine Eierschale. Beide Hoden zerquetscht. Er ist praktisch kastriert, sagen die
Ärzte. Und verliert möglicherweise ein Auge. Er sagt, er war joggen, und jemand
hat sich auf ihn gestürzt. Kam aus dem Dunkeln, völlig überraschend.«
    Nick zuckte die Schultern.
    »Die Story war so weit okay, bis Boots mit ihm in die Notaufnahme
kam. Die Ärzte haben ihn versorgt, und dabei ist eine Plastiktüte aus der
Tasche seiner Trainingshose gefallen. Extralange Schnürsenkel, eine Rolle
Klebeband, Babyöl und ein Teppichmesser.«
    »Für eine Vergewaltigung.«
    »Ja, für eine Vergewaltigung. Also hat Boots ihn durchgecheckt, und
siehe da: Die Kollegen in Charleston suchen den Typen wegen gewaltsamer
sexueller Übergriffe. Wie es scheint, gab’s da vor einiger Zeit eine ganze
Reihe von Angriffen auf junge Frauen, hauptsächlich Joggerinnen.«
    »Es ist doch nicht etwa Ziggy Danich? Die Sitte

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