Niceville
ist schon seit
Monaten hinter ihm her, aber sie konnten ihm nie was nachweisen.«
»Ja, ich weiß. Ich kann mich erinnern, dass du mich mal nach ihm
gefragt hast.«
»Dann haben sie ihn also endlich?«
»Bis jetzt sieht’s ziemlich handfest aus. Zufallsfund und
Beweiskette. Ziggy könnte der Kerl sein, der vor zwei Wochen am Tulip die beiden
Mädchen vergewaltigt hat. Im Augenblick läuft ein DNA -Test.«
Tig hielt inne und wartete darauf, dass Nick etwas sagte, doch der
sagte nichts.
»Und du hast also nichts gesehen?«
»Nein, gar nichts.«
»Die Sache ist: Der Typ sagt, er hat keine Ahnung, wer ihn
angegriffen hat und wie das Zeug in seine Tasche gekommen ist. Er sagt, es ist
ihm untergeschoben worden.«
»Das sagen sie alle.«
Tig nickte. »Stimmt.«
Er machte ein besorgtes Gesicht und schob ein paar Sachen auf dem
Schreibtisch hin und her.
Nick wartete, aber Tig schien fertig zu sein.
Er war es nicht.
»Willst du vielleicht noch irgendwas dazu sagen, Nick?«
»Nein, gar nichts. Gut für Boots. Er sollte eine Belobigung dafür
kriegen, dass er diese Ratte erledigt hat. Die anderen haben’s nicht geschafft.
Manchmal hat man eben Glück.«
Tig schwieg. Dann sagte er: »Aber zu viel Glück ist auch nicht gut.
Wenn so was noch mal passiert, müssen wir annehmen, dass hier eine
Selbstjustiznummer läuft. Kannst du dich an den Mann in The Glades erinnern,
den wir im vergangenen Jahr neben seinem Wagen in der Garage gefunden haben?
Jemand hatte ihn mit einem Baseballschläger bearbeitet und ihm die Beine
gebrochen, bis die Knochen nur noch Splitter waren. Er wird nie wieder laufen
können.«
»DeShawn Coles. Hat im Double Deuce in Tin Town minderjährige Huren
anschaffen lassen. Ein hinterhältiges, gemeines Schwein. Wir haben ihn uns mal
vorgenommen, weil vermutlich er es war, der eine kleine Ausreißerin namens
Shaniqua Throne mit Bleichmittel vergiftet hat, aber sie ist gestorben, bevor
sie ihn identifizieren konnte.«
»Genau der. Die Sache ist die: Wenn so was zum ersten Mal passiert,
ist es Glück, beim zweiten Mal ist es Zufall und beim dritten Mal … ist es was
anderes. Das muss man sich genau ansehen. Selbstjustiz, verdammt – dafür
interessiert sich sogar das FBI . Und die Presse würde sich darauf
stürzen wie Ameisen auf einen Honigtopf. Die würde nicht lockerlassen, bis
derjenige geschnappt ist.«
»Ja«, sagte Nick, »ich sehe es schon vor mir.«
»Ich auch.«
Jetzt erst war Tig fertig.
Er hatte gesagt, was er sagen wollte.
Es war wieder Luft im Raum.
»Okay«, sagte Nick, »dann werde ich mich mal um diese Cotton-Sache
kümmern.«
»Ja«, sagte Tig, lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor
seiner breiten Brust und lächelte breit. »Gleich nach der Teague-Sache. Du
redest mit Lemon, und danach findest du raus, was mit Delia Cotton passiert
ist. Vielleicht vertreibt das deine dunklen Gedanken.«
»Ich habe dunkle Gedanken?«
»Mach dich einfach an die Arbeit.«
SAMSTAGNACHMITTAG
Tony Bock kann einfach keine Ruhe geben
Wie der Junge in dem Märchen, der dem bösen Riesen die
Zauberbohnen stahl, sie im silbrigen Licht des Mondes in seinem Garten
einpflanzte und es am nächsten Morgen kaum erwarten konnte zu sehen, was für
ein Wunderding daraus … Nun, Tony Bock erwachte am späten Samstagmorgen in
seiner Wohnung über der Garage in The Glades in ebendiesem Gemütszustand: Er
war so gespannt, was seine E-Mail an den CID in
Bewegung gesetzt hatte. Es war eine Frage, die Bock im kalten Morgenlicht sehr
widerstreitende Gefühle bescherte.
Teils brannte er darauf zu sehen, was passiert war, teils hatte er
eine Riesenangst, er könnte sein Leben unversehens auf Grund gesetzt haben,
weil er einen kleinen, aber juristisch katastrophalen Fehler begangen hatte –
Missbrauch des Internets? Missbrauch von Telefonverbindungen in Tateinheit mit
strafbarer Verletzung der Privatsphäre? – und daher im Begriff war, die
hässliche Quittung für seine Leichtfertigkeit am Abend zuvor zu bekommen.
Nein, er musste es JETZT wissen.
Bock konnte nicht mal warten, bis er die Zähne geputzt, einen
Schluck Kaffee getrunken oder sich angezogen hatte. Er setzte sich, schaltete
den Computer ein, startete eine Suche nach Kevin David Dennison Saint
Innocent Orthodox Niceville CID und war eigenartig erleichtert,
kein einziges Suchergebnis zu bekommen.
Bislang waren die Hüter des Gesetzes also nicht in Aktion getreten.
Sein Puls normalisierte sich. Er lehnte sich zurück und streckte aus
Weitere Kostenlose Bücher