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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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purer
Gewohnheit die Hand nach einem der wenigen kalten Stellas aus, die in der Nacht
zuvor seinem Zugriff entgangen waren.
    Er legte den wie eine nackte Frau geformten Flaschenöffner beiseite,
trank einen Schluck und dachte über den Zustand seiner Welt nach. Okay. Gut.
Bis jetzt nichts.
    Er würde geduldig sein müssen.
    Wie die Spinne im Netz.
    Wie der Löwe im hohen Gras.
    Gut.
    Kurzes Innehalten zur Selbsterforschung.
    Was genau empfand er?
    Jetzt, da seine Angst verschwunden oder jedenfalls zeitweilig in den
Hintergrund getreten war, fühlte er sich …
    … enttäuscht .
    Er hatte gehofft, auf eine kurze Meldung über eine Festnahme zu
stoßen – ein Selbstmord nach einem Schusswechsel mit der Polizei wäre wohl zu
viel des Guten gewesen – oder wenigstens auf irgendeine Kräuselung der
Oberfläche, eine kleine Unruhe unter den Bürgern von Niceville, irgendetwas,
das auf polizeiliche Ermittlungen hindeutete. Und das war, wie ihm mit einem
Mal bewusst wurde, durchaus möglich.
    Immerhin würden die Bullen wegen eines anonymen Hinweises, und sei
er noch so alarmierend und begründet, wohl nicht die Medien informieren.
    Nein, natürlich nicht. Man würde die Sache zunächst einmal in aller
Stille untersuchen. Das war ja auch nur recht und billig.
    Bock rief sich abermals ins Gedächtnis, dass er in dieser neuen
Angelegenheit geduldig sein musste.
    Und umsichtig.
    Und …
    Ach, scheiß drauf!
    Es änderte nichts: Er war enttäuscht.
    Er rief die E-Mail auf, die er an Lieutenant Commander Tyree Sutter,
Chef der Criminal Investigation Division von Cullen and Belfair County,
geschrieben hatte.
     
    der hausmeister an der saint innocent orthodox hat seit 1982 mehrmals kinder
sexuell belästigt. er heißt kevin david seine verbrechen hat er unter dem namen
kevin david dennison begangen er ist am 23.6.1956 geboren. fragen sie in
maryland. er hat einen instant messenger account unter dem namen katydee999.
sie sollten ihn unter die lupe nehmen. ein freund
     
    Er beugte sich über die Tastatur, dachte kurz nach und
leitete die Mail – über einen Server östlich des Jupiters – an die
Lokalredaktion des Niceville Register , den Manager des Senders WEZW EZ JAZZ’N’ROCK in Gracie, den Manager des Fox News -Büros
in Cap City und an [email protected] weiter.
    Ein Denunziant hat eine gewisse Ähnlichkeit mit einem
Cracksüchtigen, und daher währte das Hochgefühl, das ihm diese Tat bescherte,
viel zu kurz.
    Schon bald wurde er wieder unruhig und hatte das Gefühl, dass es
noch etliches Nützliches zu tun gab.
    Er trank die Flasche halb aus, hörte geistesabwesend das Staccato
von Mrs Kinnears dement kläffendem Shih Tzu und starrte auf den Bildschirm. In seinen
Gedanken tauchte etwas auf, er spürte es kommen – etwas, das zunächst durch
seine eigene Nacktheit inspiriert war und dann langsam Gestalt annahm, als er
an das dachte, was er im Verlauf seiner Arbeit über diverse Leute in Niceville
in Erfahrung gebracht hatte.
    Nicht im Verlauf seiner offiziellen Arbeit natürlich, denn in seiner
Jobbeschreibung stand nichts davon, dass er in den Kellern Pappschachteln mit
alten Steuerunterlagen durchsuchen oder auf den Dachböden in Fotoalben blättern
sollte. Erstaunlich, was die Leute aufhoben, was sie womöglich schon längst
vergessen hatten oder jedenfalls vergessen wähnten.
    Zum Beispiel der Schönheitschirurg mit einer ganzen Schachtel voller
gefälschter Diplome. Die pensionierte Briefträgerin, die im Heizungskeller siebzehn
Säcke mit nicht zugestellter Post lagerte. Die Apothekerin, in deren
Wandschrank mehrere Kartons voller verschreibungspflichtiger Medikamente
standen.
    Und dann war da noch dieser Mann, Typ Bankdirektor, der in einem
hübschen großen Ranchhaus in Mauldar Field wohnte, eine Stütze der
Gesellschaft. Der hatte heimlich seine Töchter im Bad fotografiert.
    Im Zuge einer Verbrauchsüberprüfung hatte Bock die winzige Kamera im
Deckenventilator über der Dusche entdeckt. Er hatte das Kabel zu einem
Festplattenrekorder verfolgt, der in einer Truhe voller alter Kleider auf dem
Dachboden versteckt war.
    Bock hatte die Festplatte kopiert und so mindestens tausend über
mehrere Jahre hinweg aufgenommene Fotos der Mädchen bekommen, die all die Dinge
taten, die man in einem Badezimmer eben tat, dabei aber vollkommen ahnungslos
waren – was ja den ganzen Reiz der Sache ausmachte.
    Bock hatte sich sehr lange an diesen Fotos erfreut. Sie gaben ihm
ein gottgleiches Gefühl der

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