Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
Vom Netzwerk:
der Straße. Und ihre Schuhe
waren auch da.«
    »Ja«, sagte Nick ausdruckslos, »aber das heißt nicht, dass sie
hineingesprungen ist.«
    »Wo ist sie dann?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Featherlight spürte Nicks Düsterkeit. Er lehnte sich zurück und sah
erst Lacy und dann Nick an.
    »Na ja, das wollte ich jedenfalls sagen.«
    »Dass Sylvia Angst vor etwas in der Vergangenheit hatte und auf
einer Website geforscht hat, damit der Stadtarchivar es nicht merkt? Und dass
sie sich umgebracht hat, als Rainey entführt worden war, damit Rainey
zurückkehren konnte von –«
    »Von draußen.«
    »Von draußen. Als hätte sie einen Handel gemacht?«
    Featherlight zuckte die Schultern.
    »Einen Handel mit wem?«, fragte Nick.
    »Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, die Antwort ist da irgendwo.«
    »Wo?«
    »In der Vergangenheit. Ich glaube, wenn Sie wissen wollen, was
passiert ist, müssen Sie in der Vergangenheit forschen.«
    Nick schwieg und sah Lemon an.
    »Und das ist alles?«
    »Ja«, sagte Featherlight.
    Nick dachte an die Familie Teague und studierte Lemon Featherlights
Gesicht. Lemon sah aus, als hätte er sich in den Winkel zurückgezogen, in dem
er auf schlechte Nachrichten wartete.
    »Was meinst du, Nick?«, fragte Lacy.
    »Wo hat sie diese Nachforschungen betrieben?«
    »Zu Hause, in ihrem Büro.«
    »Auf ihrem Computer?«
    »Ja«, sagte Lemon Featherlight. »Sie hatte einen ziemlich großen
Dell.«
    Nick erinnerte sich daran. Er hatte Kate im vergangenen Monat einmal
zum Haus der Teagues gefahren und sie auf ihrem üblichen Kontrollgang
begleitet, mit dem sie sich vergewisserte, dass das Haus in Ordnung gehalten
wurde. Der Computer hatte auf Sylvias Schreibtisch gestanden.
    Als Rainey verschwunden war, hatten sie auch im Computer nach
irgendwelchen Hinweisen gesucht, doch an eine Website namens ancestry.com konnte er sich nicht erinnern. Aber hier war irgendetwas.
    Er konnte es spüren.
    »Ich werde das überprüfen, Lemon. Wenn an der Sache was dran ist,
werde ich in Cap City anrufen und sehen, was ich für Sie tun kann.«
    »Es bleibt aber nicht mehr viel Zeit«, sagte Lacy. »Nächste Woche
ist die Kautionsanhörung, und bis dahin –«
    Auf dem Korridor erklangen rasche und laute Schritte. Gwen Schwinner
erschien in der Tür, sah sich um und richtete den Blick auf Nick.
    »Hatten Sie einen großen schwarzen Kollegen dabei?«
    »Ja.«
    »Dann sollten Sie lieber mal nachsehen. Ich glaube, er ist gerade
abgestochen worden.«

Merle Zane bekommt ein Angebot, das er nicht ablehnen kann
    Irgendwie musste die Frau es geschafft haben, Merle in ein Bett zu legen, denn
dort befand er sich, als die Wärme der durch die Vorhänge scheinenden Sonne ihn
weckte.
    Er lag bäuchlings auf einer klumpigen, mit einem gestreiften groben
Stoff bezogenen Matratze, wie man sie in Angola kriegte. Für einen Augenblick
überkam ihn Panik, denn er dachte, er sei wieder dort, doch dann spürte er den
Sonnenstrahl auf seiner Wange, und er wusste, dass er ganz bestimmt nicht in
Angola war, denn Angola war, wie ein gewisser Teil der Anatomie, ein Ort, wo
die Sonne nie schien.
    Er hob den Kopf vom Kissen. Dazu musste er die Muskeln im Kreuz
anspannen, und das half ihm, sich in Zeit und Raum zu orientieren: Er lag in
einem sonnendurchfluteten Zimmer auf einem harten Bett und hatte ein Loch im
Rücken, das Charlie Danzigers Sig Sauer gemacht hatte.
    Merle drehte sich langsam um und rechnete dabei mit einer Welle von
Schmerz, spürte aber bloß ein scharfes Ziehen im Kreuz, als wäre er dort mit
Stacheldraht umwickelt.
    Er sah an seinem nackten Oberkörper hinunter auf den breiten
Streifen aus ungebleichtem Leinen- oder Baumwollstoff, mit dem er verbunden
war. Er tastete vorsichtig nach der Wunde im Rücken und fühlte unter dem Stoff
eine grobe Naht. Bei dieser Bewegung spannte sich die Haut an seiner Schulter,
und der Schmerz lenkte seine Aufmerksamkeit auf diese Stelle, wo sich eine
zweite Naht befand: Ein dicker schwarzer Faden war mit groben Kreuzstichen
vernäht worden – der Anblick erinnerte ihn an eine Leiche, die man nach der
Autopsie wieder zusammengeflickt hatte. Die Haut rings um die Wunde war dunkel
orangerot und offenbar mit Jod bepinselt worden.
    Er schwang die Beine aus dem Bett und setzte sich auf. Er war nicht
im Gefängnis, sondern in dem Farmhaus der Frau, dessen war er sich ziemlich
sicher, und daraus, dass die Wände schräg waren, schloss er, dass es sich um
ein Mansardenzimmer handelte. Es war klein und warm und

Weitere Kostenlose Bücher