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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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verheirateter Mann mit einer Farm –
sie hätten ihn niemals einziehen dürfen, aber sie haben’s getan. Sie hatten
wohl ihre Gründe, auch wenn’s nicht die besten waren. Und so ist es dann eben
passiert. Sein jüngerer Bruder Ethan ist auch in den Krieg gezogen. Er ist
zurückgekehrt, jedenfalls ein Teil von ihm, aber jetzt muss ich die Farm
führen. Aber ich bin nicht wütend auf John. Er hatte das Gefühl, er müsste mit
seiner Einheit gehen. Es ist alles die Schuld dieses unterbelichteten
grinsenden Idioten von einem Präsidenten, der sich in einen sinnlosen Krieg
gestürzt hat.«
    Merle war selbst kein großer Anhänger des Präsidenten und
widersprach ihr nicht. Da er aber kürzlich Beihilfe zum Mord an vier Polizisten
geleistet hatte, hielt er es für angebracht, eine eingehende Diskussion über
den Dienst fürs Vaterland und seine Folgen für ihre Familie zu vermeiden. Mit
der nächsten Frage der Frau war dieses Thema ohnehin erledigt.
    »Sind Sie ein Mann der Gewalt, Mr Zane?«
    Merle wollte das verneinen. Er hatte sich noch nie als einen Mann
der Gewalt betrachtet, doch angesichts der Ereignisse der letzten Tage und
dessen, was er getan hatte, um Angola zu überleben, hatte er das Gefühl, diese
Haltung noch einmal überdenken zu müssen. Mrs Ruelle sah ihm dabei zu –
geduldig, beherrscht und, wie es schien, ohne besondere Erwartungen.
    »Ja«, sagte er schließlich. »Ich wollte diesen Weg eigentlich nicht
einschlagen, aber ich hab’s wohl getan.«
    »Sie hatten eine Pistole dabei. Sie haben gesagt, Sie hätten das
Feuer erwidert, als ein anderer Mann auf Sie geschossen hat. Mit einer Kugel im
Rücken und einem Streifschuss an der Schulter.«
    »Es ging alles sehr schnell. Ich hab getan, was ich tun musste. Ich
kann nicht behaupten, ich hätte gut geschossen – immerhin ist mein Magazin
leer, und ich hab ihn wahrscheinlich bloß einmal getroffen.«
    Sie runzelte die Stirn und machte eine wegwerfende Geste.
    »Das spielt keine Rolle. Das kann jedem passieren, besonders in
einer so unübersichtlichen Situation wie Ihrer. Es passiert sogar bei
regelrechten Duellen, wo Sekundanten anwesend sind. Mein Großvater John
Gwinnett Mercer hat wegen einer Angelegenheit, bei der es um das vorzeitige
Ableben von Anora Mercer, Mr Teagues dritter Frau, ging, sieben Schüsse mit
London Teague gewechselt. Anora war das Patenkind meines Großvaters und wurde
von allen, die sie kannten, geliebt. Ich will keine Familienangelegenheiten vor
Ihnen ausbreiten, aber es ist eine Tatsache, dass die Teagues und meine
Familien, die Mercers und die Ruelles, durch eine sehr lange Feindschaft
miteinander verbunden sind. Durch eine Feindschaft, die über Generationen
zurückreicht und deren Wurzeln in Irland liegen. Die Teagues haben beim
Aufstand von 1798 irische Patrioten an den Polizeichef von Dublin verraten. Das
hat man nicht vergessen, und seither haben die Teagues viele neue Verbrechen
verübt.«
    Hier brach sie wieder ab und musterte für eine Weile Merles Gesicht,
als sei sie noch immer nicht zu einem Urteil über ihn gekommen.
    »Dieses Duell also: London und mein Großvater trafen sich auf Johnny
Mullrynes Plantage in Savannah. Als der Herausgeforderte hatte London Teague
Pistolen gewählt. Die Neuen Irischen Duellregeln besagen, dass die Pistole
spätestens drei Sekunden, nachdem sie in Anschlag gebracht worden ist,
abgefeuert werden muss, da ein längeres Zielen eines Gentlemans unwürdig ist.
Und Sie dürfen nicht vergessen, dass diese alten Pistolen mit glatten Läufen
alles andere als treffsicher waren, was vielleicht irgendwie den Verlauf dieses
Duells erklärt.«
    Sie hielt inne, nahm einen Schluck Cider und schüttelte grimmig
amüsiert den Kopf. Merle saß reglos und wie gebannt da.
    »Sieben Schüsse wurden gewechselt, auf zwanzig Schritte Entfernung.
Für ein Duell auf Pistolen war das sehr lang, denn nach jedem Schusswechsel
müssen die Sekundanten unterbrechen und die Duellanten auffordern zu
konzedieren, dass der Ehre Genüge getan worden sei.«
    Sie lächelte ihn an und fuhr fort.
    »Aber nicht diese beiden. Nein, die nicht. Das Duell ging immer
weiter.«
    Wieder hielt sie inne und blickte in eine unbestimmte Ferne, und
Merle hatte das absurde Gefühl, dass sie sich an ein Duell erinnerte, das sie
mit eigenen Augen gesehen hatte. Nach einigen Sekunden kehrte sie in die
Gegenwart zurück.
    »Beide Männer haben es überlebt. Mein Großvater bekam einen
Streifschuss an die Wange, der ihn auf einem Auge

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