Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
Vom Netzwerk:
was als Kind gesehen. Ich hab
bei einem Umzug geholfen. Die Leute hatten einen Lieferwagen gemietet, der mit
einer Plane abgedeckt war. Im Fahrerhaus war nicht genug Platz, und so hab ich
mich auf die Ladefläche gesetzt und mich an die Seitenwand gelehnt. Unter der
Plane war es stockdunkel, aber plötzlich sah ich etwas flackern. In der
hinteren Ladeklappe war ein kleines Loch, durch das Tageslicht fiel. Es dauerte
eine Weile, bis ich kapierte, dass das, was ich sah, ein auf dem Kopf stehendes
Bild der Straßen war, durch die wir fuhren. Eine Camera obscura. Und das ist
das, was dieser Raum ist.«
    »Meinst du, Miss Cotton hat das so eingerichtet?«
    »Ich weiß nicht. Eigentlich sieht es mir eher nach einem verrückten
Zufall aus«, sagte Nick, dachte dabei aber daran, welchen Eindruck das erste
Bild auf ihn gemacht hatte, das Bild von dem Feld und den arbeitenden Männern,
das sich abrupt in das der Straße vor Delia Cottons Haus verwandelt hatte.
    Eine
gespenstische Farm, seltsam verwachsene Bäume in einem eigenartig goldenen
Licht, aufgetürmte menschliche Schädel, Arbeiter – oder Sklaven –, die etwas
ausgraben … Was haben die ausgegraben?
    Särge?
    »Hast du das alles aufgenommen, Beau?«
    »Ich glaube schon«, sagte Beau. Er fand den Lichtschalter. Eine
große Glühbirne, die in der Mitte des Raums an einem Draht hing, flammte auf.
Die schwarzen Schatten wichen in die Ecken zurück, und das Bild an der Wand
verblasste, so dass das Farbenspiel nur noch zu erahnen war.
    Das Licht ließ auch eine Gestalt, ein schwarzes rundes Etwas im
Dunkel unter dem oktopusartigen Ofen erkennen.
    Beau ging näher und kniete nieder, um zwischen den Rohren
hindurchzuspähen. Das dunkle Etwas zog sich mit einer fließenden, absolut
lautlosen Bewegung zurück.
    Beau hockte sich hin.
    »Dieses Haus gefällt mir nicht, Nick. Überhaupt nicht. Jetzt weiß
ich zwar, was diese Lightshow war – aber was zum Teufel ist das hier?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Nick und beugte sich mit klopfendem
Herzen vor, um unter den Ofen zu sehen. Beau war nicht der Einzige, dem hier
unbehaglich zumute war.
    »Was immer es ist, es ist was Lebendiges«, sagte Beau. »Und jetzt
höre ich was fauchen. Soll ich’s einfach erschießen?«
    »Wir können hier nicht einfach herumballern, Beau. Das würde Tig
nicht gefallen. Du müsstest ihm die verschossene Munition bezahlen. Wie wär’s,
wenn du stattdessen da reinkriechst und nachsiehst, was es ist?«
    Beau sah ihn an, erhob sich, trat lächelnd einen Schritt zurück und
verbeugte sich mit eleganter Geste.
    »Laut Dienstvorschrift ist dies der Augenblick, in dem der fähige,
erfahrene Officer dem unbeholfenen Anfänger zeigt, wie so was gemacht wird.«
    »Laut Dienstvorschrift?«
    »Aber ja. Da steht’s drin. Wie bei Navy CIS .«
    Nick sah ihn mit einem Seitenblick an, kniete sich seufzend auf den
Boden und spähte ins Dunkel.
    Was immer dort unten war – es war damit nicht einverstanden, und das
leise Fauchen verwandelte sich in langgezogenes, kehliges Knurren, welches
bewirkte, dass die Körperteile, die Nick am Herzen lagen, sich abkühlten und
zusammenzogen. Er sah auf zu Beau.
    »Haben wir Handschuhe im Wagen?«
    »Nur diese Latexdinger.«
    »Sieh doch mal nach, ob du irgendwelche Gärtnerhandschuhe finden
kannst.«
    »Was ist es denn?«, fragte Beau, der fürchtete, er könnte etwas
Interessantes verpassen.
    »Hol mir bitte einfach ein Paar Handschuhe«, sagte Nick und hockte
sich vor den Ofen. Er atmete durch den Mund und versuchte, sich zu beruhigen,
während er hörte, wie Beau die Treppe hinaufging und die Dielen des Korridors
unter seinen Schritten knarzten.
    Er war jetzt allein in dem Keller – nun ja, nicht ganz allein – und
spürte über sich das Gewicht des großen Hauses, ein gewaltiges Gewicht, das ihn
in den Betonboden drücken wollte.
    Er hatte keine Ahnung, was mit Delia Cotton geschehen war, aber mit
ihrem Haus war ganz offensichtlich etwas geschehen. Als wäre es irgendwie …
    Draußen?
    Lemon Featherlight fiel ihm ein und die Art, wie er beschrieben
hatte, was mit Rainey Teague geschehen war: dass der Junge irgendwie in eine
uralte Gruft … versetzt worden war.
    Was
immer das war – es kam von … da draußen.
    Nick schüttelte den Kopf und fuhr sich durch die Haare. Das war
Unsinn. Irgendjemand – jemand, den es wirklich gab – trieb mit Niceville ein
Spiel, und Leute wie Nick hatten die Aufgabe, dergleichen zu unterbinden.
    Wieder knarzten die Dielen, und

Weitere Kostenlose Bücher