Nicholas Dane (German Edition)
berüchtigte Jones, der hässliche, brutale, wütende Jones über der Sofalehne hing und der alte Knacker sich an ihm vergnügte, war einfach umwerfend. Aber auch Furcht einflößend.
Wenn Stella Nick gefragt hätte, hätte sie wahrscheinlich nichts erfahren – er war durch seine Erlebnisse in Meadow Hill viel stärker traumatisiert als Davey und hätte mit Sicherheit keinen Ton gesagt. So aber bekam Stella die Information, die sie brauchte. Den Namen Tony Creal, den Pub, wo er gesehen worden war, und Meadow Hill, das Heim, in dem er stellvertretender Direktor war.
»Meadow Hill«, rief sie. »Davon hat Ben mal erzählt. Da war er auch.«
»Ich weiß«, sagte Davey und kicherte.
Stella erfuhr sehr viel von Davey – aber nicht alles. Es gab Dinge, über die sprach man einfach nicht, und dazu gehörte sexueller Missbrauch. Das war ein Tabu. Auch nur anzudeuten, was Nick in seiner Zeit im Heim erlitten hatte, wäre für Davey so etwas wie Verrat an seinem Freund gewesen. Irgendwie schien es, als würde die Schande dem Opfer genauso angelastet werden wie dem Täter. So erwähnte Davey nur die Gewalt.
»Wenn Jones einen allemachen will, dann Creal, denk ich mal«, sagte Davey. Und bei dem Gedanken musste er lächeln.
Stella war entsetzt. Das stimmte also? Ihre Angst war berechtigt?
»Lass ihn doch«, sagte Davey. »Creal hat’s verdient, mehr als. Das wird das einzig Gute sein, was Jones je in seim Leben gemacht hat.«
Aber jemanden nur deswegen ermorden, weil er einen als Kind rumgestoßen hat? So was geschieht doch oft. Darauf stand doch nicht die Todesstrafe.
Davey zuckte die Achseln. »Du warst nicht im Heim«, sagte er und lächelte bitter.
Sie gingen auseinander – Davey lief sofort zu Nick und überbrachte ihm die Neuigkeit: Jones wollte Creal umbringen. Das war mal ein Grund zum Feiern! Stella hingegen lief völlig aufgelöst und verwirrt durch die Stadt. Sie konnte sich doch nicht an einem Mord beteiligen. Wenn Jones den Mann umbrachte, dann würde er sicher geschnappt werden, und was dann? Lebenslänglich. Zwanzig, vielleicht dreißig Jahre Knast.
Sie bezweifelte, dass Jones es überhaupt ertragen könnte, so lange eingesperrt zu sein.
Sie wusste, dass sie ihn nicht aufhalten konnte. Wenn er sich einmal etwas vorgenommen hatte, dann konnte sie nichts tun oder sagen, um ihn von seinem Kurs abzubringen. Und verraten konnte sie ihn auch nicht. Das würde sie nie fertigbringen.
Sie lief kreuz und quer durch die Stadt und wusste nicht, was sie tun sollte. Um Creal machte sie sich keine Gedanken, obwohl sie ihm nicht unbedingt den Tod wünschte. Ihre Sorge galt Jones. Wie konnte sie ihm helfen? Wie konnte sie diese sinnlose Tat verhindern, ohne ihm die Polizei auf den Hals zu hetzen?
Schließlich traf sie eine Entscheidung. Sie kaufte einen Block und einen Stift und schrieb einen Brief an Tony Creal – die Adresse von Meadow Hill fand sie in einem Telefonbuch auf der Post.
»Wenn Sie der sind«, schrieb sie, »der regelmäßig ins Old Folks at Home in Northenden geht, dann wollen ein paar Männer Ihnen was antun. Das sind Männer, denen Sie was angetan haben, als sie bei Ihnen im Heim waren. Die Männer haben Sie wiedererkannt. Das ist eine Warnung von jemandem, dem Sie völlig egal sind, der aber nicht will, dass ein guter Mann ohne guten Grund in sein Unglück rennt.«
Sie schickte den Brief ab und ging ihrer Wege. Sie kaufte ein, was Jones ihr aufgetragen hatte, und kehrte nach Hause zurück. Ihr Liebhaber hatte bemerkenswert gute Laune, und das trotz der finsteren Pläne in seinem Kopf. Sie setzte sich zu ihm, sie rauchten ein bisschen Gras, tranken ein paar Bier und später bestellten sie Pizza. Es gelang Stella dennoch nicht, ihre Ängste auszuschalten. Sie dachte an das, was geplant wurde, und an das, was sie getan hatte, um es zu verhindern. Jones verlor schnell die Geduld mit ihr, ging in die Kneipe und ließ sie zu Hause zurück, allein mit ihren Gedanken.
33
Noch ein Geschäft
Stella hatte richtiggelegen, Sonnschein war in Bezug auf Nick nicht ganz ehrlich gewesen. Nach dem Einbruch hatte sich Nick drei, vier Tage lang bei Jenny versteckt und sich nicht in der Oldham Street sehen lassen. Doch die Langeweile und die Unruhe, die ihn seit dem Tod seiner Mutter quälten, trieben ihn schnell wieder zurück. Aber jetzt war er wachsam. Er wusste, wie gefährlich sein Wissen über Jones’ Vergangenheit war, und er fühlte sich bei Sonnschein nicht mehr sicher. Sein Zimmer
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