Nicholas Dane (German Edition)
Nick am Ende um die Ecke verschwand.
Nick ging brav zu seinem Haus. Dort erwarteten ihn die Aufsichtsschüler und schickten ihn nach oben.
»Schwuchtel«, grölte ihm Andrews hinterher. Nick kümmerte das nicht. Er hatte den schönsten Abend seit Jahren gehabt – jedenfalls kam ihm das so vor. Er hatte eine Tüte voll Köstlichkeiten – und morgen würde er Davey eine Schachtel Kippen geben. Er ging ins Bett, seufzte tief, zog die Decke bis ans Kinn und schlief sofort ein.
10
Der Pastetenmann
Jenny war verzweifelt. Nick im Heim! Wie hatte sie das zulassen können? Was hätte Muriel dazu gesagt? Es war schrecklich. Deprimierend. So deprimierend, dass sie einen Tag im Bett verbringen musste. Aber wie immer riss sie sich dann zusammen und handelte. Als Erstes trennte sie sich von Ray, dann rief sie Mrs Batts an, weil sie Nick besuchen wollte. Doch Besuche waren verboten. Nicht zu fassen.
»Verboten? Sie machen Witze. Was ist das denn, ein Gefängnis, oder wie?«
»Ich bitte Sie, Mrs Hayes, Meadow Hill ist ein seehr renommiertes Haus«, versicherte ihr Mrs Batts gereizt. Sie fand das Besuchsverbot auch unglücklich. Genau genommen war Meadow Hill eher eine Besserungsanstalt als ein Heim, und theoretisch sollte sich kein Junge mehr als ein paar Wochen dort aufhalten, bevor er woandershin verlegt wurde. Das Besuchsverbot war wegen einiger sehr hässlicher Szenen erlassen worden, als Eltern, die von weit her angereist waren, erfahren mussten, dass ihr Kind inzwischen woanders untergebracht war. Manche Jungen mussten allerdings leider doch viele Monate oder sogar Jahre in Meadow Hill bleiben, da es in anderen Heimen nicht genug Plätze gab. Und diesen Jungen wurde bei guter Führung gelegentlich ein kurzer Besuch ihrer Verwandten gestattet.
Mrs Batts erklärte das Besuchsverbot, so gut sie konnte, aber das minderte Jennys Zorn nicht im Geringsten.
»Ich werde mich beim Heimleiter beschweren. Ich werde mich überall beschweren. Bei meinem Abgeordneten im Parlament«, knurrte sie. »Der Junge hat gerade seine Mutter verloren, und Sie wollen mir sagen, ich darf ihn nicht besuchen?«
»Er kann ganz leicht Punkte für einen Ausgang sammeln. Bei guter Führung kann er an den Wochenenden raus.«
Aber es verging eine Woche nach der anderen, ohne dass Nick kam, es gab keine Nachricht von ihm, nicht einmal einen Brief. Jenny ließ nicht locker und fragte ständig bei Mrs Batts nach, ob sie Nick besuchen könne, ob es etwas Neues gebe, ob nicht doch die Möglichkeit bestehe, Nick bei sich aufzunehmen.
»Allein erziehende Mütter sind wirklich keine ideaale Lösung, Mrs Hayes, meinen Sie nicht?«, betonte sie. »Da fehlt der Maann im Haus.«
»Ich würde das eher als einen Vorteil betrachten«, murmelte Jenny.
»In Ihrem Fall maag das sogar stimmen«, grummelte Mrs Batts.
»Aber ich bin der einzige Mensch, den Nick hat«, beharrte Jenny. »Finden Sie nicht, es ist furchtbar hart für einen Jungen, der seine Mutter verloren hat, wenn ihm dazu auch noch alles andere genommen wird? Sein Zuhause, seine Schule, seine Freunde, einfach alles? Wenn er bei mir wäre, könnte er zumindest in die Schule gehen, in die er immer gegangen ist.«
»Wenn er denn gegaangen ist«, sagte Mrs Batts. Aber Jenny hatte ein gutes Argument vorgebracht. Für Mrs Batts kam Meadow Hill eigentlich nur in Frage, weil sie Mr Creal bewunderte, der nicht nur ein formidabler Organisator war, sondern auch einen engelhaften Charme hatte – jedes Mal, wenn sie ihn sah, geriet sie in helles Entzücken. Und er war den Jungen so zugetan! Er sagte selten etwas Negatives über sie, nicht einmal über die übelsten Burschen. Und die vielen Stunden, die er mit ihnen verbrachte – sogar in seiner Freizeit. Wenn es um die Jungen ging, scheute Tony Creal keine Mühen.
Es war schwer zu glauben, dass Jenny irgendetwas bieten könnte, das dieses Maß an Engagement aufgewogen hätte. Aber Jenny war hartnäckig, das musste man ihr lassen. Und was sie über Nicks Schule und Freunde sagte, war auch nicht von der Hand zu weisen.
Allein erziehende Mütter bekamen selten die Erlaubnis, einen schwierigen Jugendlichen wie Nick in Pflege zu nehmen, aber unmöglich war es nicht. Mrs Batts hätte das schnell in die Wege leiten können, wenn sie es für nötig befunden hätte. Das Problem war nur, dass Nick in Meadow Hill so gut zurechtkam.
»Er fühlt sich wohl wie ein Fisch im Wasser«, hatte Mr Creal ihr erklärt. »Wirklich wahr – die strenge Disziplin
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