Nicholas Dane (German Edition)
und ich nehme an, dass er auch die Oma von diesem Jungen geschlagen hat, als sie mit ihm zusammen war.«
Michael steckte seine Zigarette an. »Also, ich bin neugierig«, sagte er. Er zwinkerte, weil ihm der Rauch in die Augen stieg. »Wissen Sie, als ich jung war, habe ich immer gedacht: Geht’s mir mies! Mit so einem Vater. Aber jetzt? Guter Job, gutes Geld. Und der arme Junge, der hätte ebenso gut auch da hinkommen können, wo ich bin, aber was hat er für ein Leben erwischt? Seine drogensüchtige Mutter stirbt in einer Sozialwohnung, keiner da, der sich um ihn kümmert, und bums, ab ins Heim. Scheiße, oder? Also, ich möchte was für ihn tun. Was weiß ich. Vielleicht ein Internat? Eine anständige Ausbildung? Eine Familie kann ich ihm nicht bieten, dafür ist es zu spät. Aber ich könnte ihn finanziell unterstützen … Was meinen Sie, Mr Creal?«
»Sagen Sie doch Tony.«
»Okay, Tony. Also, was meinen Sie, wie wäre das für den Jungen?«
Tony Creal stülpte nachdenklich die Lippen vor. »Das ist sehr großzügig von Ihnen«, sagte er. »Es kommt nicht oft vor, dass Menschen sich für einen doch relativ weit entfernten Verwandten interessieren.«
»Ich bin schließlich sein Onkel Michael, oder nich?«, sagte Michael und grinste. Tony Creal bemerkte, dass ihm zwei Eckzähne fehlten, einer oben, einer unten. Drogen, dachte er. Irgendwo hatte er gelesen, dass Drogen Zähne und Zahnfleisch angriffen.
»Aber um ganz ehrlich zu sein«, fuhr er fort. »Ich bin mir nicht so sicher, ob Nick sich in einem Internat zurechtfinden würde – es sei denn, Sie finden ein ganz besonderes.«
»Wie, hat er denn besondere Bedürfnisse?«, fragte Michael, runzelte die Stirn und schnipste die Asche seiner Zigarette auf den Teppich.
»Nun, wenn Sie es ein besonderes Bedürfnis nennen wollen, dass ein Junge einfach Leute um sich braucht, denen er die Zähne ausschlagen kann, dann ja.«
Das Lächeln verschwand. »Zähne ausschlagen? Was?«
»Ich will Ihnen nichts vormachen. Die Jungen, die hierherkommen, sind nicht die feinsten. Alle hatten es zu Hause ziemlich schwer. Dann werden sie hierher verfrachtet, weg aus der gewohnten Umgebung – oft mit gutem Grund, aber trotzdem. Mr James, der Heimleiter, möchte den Jungen gerne eine zweite Chance geben, aber die Probleme, mit denen wir uns hier herumschlagen müssen – tja, vielen Jungen fällt es eben doch sehr schwer, ihre Vergangenheit abzuschütteln. Und das trifft sicherlich auch auf Nick zu.«
»Inwiefern?«
»Ich muss sagen, er war von Anfang an sehr schwierig. Seit er hier ist, war er so ziemlich jeden Tag in eine Schlägerei verwickelt.«
»Tja – heißt das nicht, dass er Probleme hat? Psychische, meine ich?«
»So kann man das auch betrachten«, sagte Mr Creal bitter. »Wie gesagt, Sie sind sehr großzügig. So etwas könnte man natürlich immer sagen, wenn Gewalt im Spiel ist. Bei Ihrem Vater auch, zum Beispiel.«
Michael Moberley blickte zur Seite. »Ich nehme mal an, ja.«
»Aber kommen wir zur Sache. Wir sollten uns nichts vormachen – Nick ist tatsächlich ein äußerst gewalttätiger junger Mann. Einige unserer Jungen hier sind wie Zeitbomben, das kann ich Ihnen versichern. Ich jedenfalls würde es mir gut überlegen, ob ich Nick, in seinem derzeitigen Zustand, mit wohlerzogenen jungen Burschen zusammenbringen würde.«
»Was? Halten Sie ihn denn für …?«
»Gefährlich? Offen gesagt, es wäre, als würde man einen Fuchs in ein Hühnerhaus stecken. Und zudem würde er sowieso nicht lange bleiben – ich würde behaupten, der haut ab, sobald es schwierig zu werden droht. Wie gesagt, es sei denn, Sie finden eine sehr spezielle Schule. Und einen Ort, wo er hinkönnte, falls er rausfliegt oder abhaut.«
»Denken Sie, dass es dazu kommen würde?«
»Ich gehe davon aus.«
»Könnte er dann nicht wieder hierher zurück?«
»Wir sind eine staatliche Einrichtung für Jungen, die sonst niemanden haben. Sobald Sie ihn hier rausnehmen, übernehmen Sie die volle Verantwortung für ihn.«
»Verdammter Mist!«
»Nicholas ist ein gefährlicher junger Mann, andererseits halten wir ihn aber auch für hochgradig gefährdet. Jungen wie er laufen weg und hängen sich an äußerst üble Typen. Drogen, Gewalt. Wir führen hier ein strenges Regiment, aber im Vergleich zu dem, was draußen los ist, ist das gar nichts.« Tony Creal drehte seinen Kopf abrupt zum Fenster. »Es gibt einen Haufen widerlicher Typen, die auf Jungs wie Nick scharf sind. Wenn Nick
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