Nicholas Dane (German Edition)
wussten, dass das stimmte. So war Nick – wenn er sich erst mal für jemanden entschieden hatte, dann hielt er zu ihm, selbst wenn derjenige Lehrers Liebling war. Davey gewöhnte sich daran. Da er zu Hause seine jüngeren Geschwister hatte hüten müssen, betrachtete er Oliver eben auch als einen, auf den er aufpassen musste. Aber besonders gern hatte er ihn nicht.
9
Die Besucherliste
So nahm das Leben in Meadow Hill seinen Lauf – vormittags Schule, wo nicht mal versucht wurde, den Jungen etwas beizubringen, nachmittags Sport, Prügel kassieren, Prügeln aus dem Weg gehen. Nick sah Mr Creal gelegentlich auf dem Gelände, aber er kam nicht dazu, mit ihm zu sprechen. Ein paar Wochen vergingen und Nick dachte schon, Creal hätte ihn vergessen, da kam ihm Davey entgegengelaufen.
»Nick! Du stehst auf der Liste! Geil, oder?«
Nick rannte sofort hin. Sein Name stand tatsächlich wie versprochen auf der Liste derjenigen, die Mr Creal in seiner Wohnung besuchen durften, und zwar noch am selben Abend – mit Oliver und einem Jungen, der Flynn hieß.
»Du alte Schwuchtel!«, rief Davey.
Nick konnte sein Glück nicht fassen. »Warum hat er mich genommen?«
Davey lachte. »Keine Ahnung. Hey, vielleicht kannste ja ’n paar Kippen für mich abstauben?« Davey war leidenschaftlicher Raucher. Für eine Zigarette tat er alles.
Den Rest des Tages verbrachte Nick auf Wolke sieben, so sehr freute er sich. Gleichzeitig musste er über sich selbst lachen. Ein Abend mit Fernsehen und Ingwerkeksen, und schon kam er sich vor wie im Himmel. Wie sich die Dinge verändert hatten …
An jenem Abend zogen sich Nick, Oliver und Flynn früh ihre Heim-Schlafanzüge an und darüber die schmuddeligen Bademäntel, die für solche Gelegenheiten zwischen den Schränken hingen. Nick dachte, es wäre besser gewesen, wenn sie wenigstens ihre eigenen Sachen hätten anbehalten können, und das sagte er auch zu Oliver, als sie sich draußen trafen, um gemeinsam zum Hauptgebäude zu gehen. Oliver zuckte bloß die Achseln.
»Creal will das so«, murmelte er.
Irgendwie schien sich Oliver gar nicht so darüber zu freuen, dass Nick an dem netten Abendausflug teilnahm. Nick fand das ein bisschen gemein. Er nahm an, Oliver wollte nicht teilen. Auch wenn es ihn ärgerte, konnte er es dem Jüngeren doch nicht ganz verübeln. Denn Oliver konnte sich nur mit Hilfe seiner Süßigkeiten ein bisschen Anerkennung verschaffen.
Andrews begleitete die drei auf dem kurzen Stück vom Haus zu Mr Creals Wohnung.
»Was soll denn das, wir finden den Weg doch alleine«, sagte Nick.
»Klar, über den Zaun«, sagte Andrews. Er warf den Kopf zurück und ging ihnen voran über den Rasen. In ihren ausgebeulten Schlafanzügen und den schmuddeligen braunen Bademänteln sahen die drei aus wie Geister aus einem alten Comic-Heft. Mr Creal nahm sie am Haupteingang in Empfang, entließ den Aufpasser und führte sie selbst die Treppe hinauf.
Vor der Tür blieb er stehen. »Ihr seht aus wie ein Vogelscheuchen-Trio!«, sagte er lächelnd. Die Jungen lachten ein wenig befangen. Tony hielt den Schlüssel hoch. »Na dann – verabschiedet euch für ein kleines Weilchen von den Freuden Meadow Hills. Aber denkt daran – was immer dort draußen geschieht, geschieht dort draußen, und was hier drinnen geschieht, geschieht hier drinnen. Und das halten wir auch schön getrennt.«
Er zwinkerte, machte die Tür auf und winkte sie herein.
Auf dem Couchtisch erwartete sie ein Teller mit belegten Broten, und in der Küche standen für später Schälchen mit Nüssen und Knabberzeug. Alles sehr freundlich und einladend, nicht mehr und nicht weniger. Und das war wunderbar.
»Im Fernsehen kommt gerade Die Füchse , das können wir uns angucken«, sagte Mr Creal. »Und jetzt haut rein, Jungs. Wer nicht zupackt, verhungert, so läuft das hier.«
Sie quatschten, sahen fern, knabberten Nüsse, aßen Brote und Kuchen, dann spielten sie Karten. Eben noch waren sie wie knallharte Verbrecher behandelt worden, und jetzt saßen sie auf dem Sofa, aßen Battenbergkuchen und tranken heißen Kakao. Abgefahren – aber herrlich. Schon hatte sich Mr Creal in Nicks Herz gestohlen. Er war für Nick die einzige Verbindung zu dem, was er für das wahre Leben hielt, seine einzige Rettungsleine zurück in die Wirklichkeit.
Als Die Füchse zu Ende war, bot ihnen Mr Creal Zigaretten an. Flynn, der behauptete, dass er draußen vierzig Stück am Tag gequalmt hätte, zog daran, als enthielten sie
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