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Nicholas Dane (German Edition)

Nicholas Dane (German Edition)

Titel: Nicholas Dane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melvin Burgess
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seiner Familie. Neun Brüder und Schwestern und wer weiß wie viele Cousins, Tanten und Onkel. Untereinander balgten sich die zehn O’Brian-Kinder wie Hunde, aber wehe, es vergriff sich jemand von außerhalb an einem Familienmitglied! Der wurde in Stücke gerissen. Sie hatten nichts auf der Welt außer sich selbst, sie hielten zusammen und sie kämpften zusammen.
    Und Davey hatte die Straße. Alle in der näheren Umgebung kannten die O’Brians, und es war immer jemand da, der ein Auge auf die Kleinen hatte, ihnen was von seinem Marmeladenbrot abgab oder sie mit nach Hause nahm und ihnen die Wunden wusch. Das genügte natürlich längst nicht. Daher füllten sich im Laufe der Jahre die Gefängnisse mit O’Brians, die wegen Stehlen, Rauben, Saufen, Koksen, Drücken, bewaffneten Überfalls, in einem Fall sogar Mord verurteilt wurden. Aber einige kamen durch, zwei oder drei, mit Unterstützung ihrer Geschwister und ihnen zugewandter Menschen aus der Nachbarschaft.
    Oliver hingegen hatte niemanden. Sein Leiden begann, als er im Alter von drei Jahren vom Freund seiner Mutter vergewaltigt wurde. Eine Nachbarin, die sich ein bisschen Geld als Tagesmutter verdiente, entdeckte es, als Oliver aufs Klo musste und sie Blutergüsse an seinem Po sah. Vielleicht wäre es noch gut ausgegangen, wenn seine Mutter anders reagiert hätte. Doch die wollte nicht glauben, dass ihr Geliebter ein Vergewaltiger war.
    Im Lauf des nächsten Monats machte sich der Vergewaltiger den kleinen Oliver mit Lügen und Drohungen gefügig – erklärte ihm zum Beispiel, seine Mutter hasste ihn und würde ihn verlassen, falls er ihr bestimmte Geheimnisse anvertraute. Aber trotz der Einschüchterungen und Hinterhältigkeiten kam die Wahrheit schließlich heraus, weil der Kleine anfing zu bluten. Der Freund der Mutter machte sich davon, als die besorgte Mutter darauf bestand, das Kind ins Krankenhaus zu bringen, wo die Ärzte ihr bestätigten, dass das Kind häufig Analverkehr hatte erleiden müssen.
    Es wäre schön, wenn man sagen könnte, diese Entdeckung hätte Reue und Sühne nach sich gezogen, wie es in den guten alten Märchenbüchern geschieht, aber wie schon berichtet, läuft es im wirklichen Leben nicht immer so ab. Nicht nur die Kenntnis dessen, was ihrem unschuldigen Kind angetan worden war, sondern auch ihr eigener Anteil daran führten dazu, dass die Mutter den kleinen Jungen verabscheute. Sie gab sich Mühe mit ihm, aber seine Unfähigkeit, ihr zu trauen, ließ den Ärger auf ihrer Seite immer größer werden, bis sie schließlich fürchtete, nicht mehr angemessen für ihn sorgen zu können. So kam Oliver zum ersten Mal ins Heim.
    In jenen Tagen waren die Betreiber solcher Heime mehr oder weniger sich selbst überlassen, was nicht unbedingt hieß, dass alle Heime schlecht waren. Aber Oliver hatte das Pech, in einer kleinen Einrichtung in Didsbury zu landen, wo die beiden Erzieher und ein Hausmeister derselben Leidenschaft frönten wie Tony Creal. Sie ergötzten sich ausgiebig an dem hübschen kleinen Jungen. Dass er offenbar wusste, was von ihm erwartet wurde, kam ihnen nur allzu entgegen.
    »Der wird garantiert schwul«, scherzte einer von ihnen. »Also sollten wir die Zeit bis dahin gut nutzen.« Seine beiden Vergewaltiger waren absolut homophob. Jungen waren in ihren Augen etwas anderes als Männer.
    Was nun Olivers eigene Sexualität betrifft – wer weiß? Die war ihm genommen worden wie so vieles andere auch.
    Es folgten lange Jahre, in denen er mal im Heim, mal zu Hause war. Einige Heime waren gut, andere schlecht. Doch der Schaden blieb. Jedes Mal, wenn Oliver nach Hause kam, war er schwerer zu bändigen und voller Hass auf seine Mutter und seine kleine Schwester, die wenig später geboren worden war. Obwohl seine Mutter verzweifelt um seine Liebe rang, wurde er unkontrollierbar.
    Sie wusste nicht, dass er sie immer noch liebte. Jede Nacht weinte er vor Sehnsucht nach ihr, jede Minute des Tages verzehrte er sich nach ihr. Aber er konnte es ihr nicht mehr zeigen. Wenn er ihr hätte erzählen können, was in den Heimen geschah, hätte sie ihn vielleicht verstanden. Aber seine Schänder hatten ihn zum Schweigen verurteilt, denn sie hatten ihn zu dem Glauben gebracht, dass er es verdiente, dass er es wollte, dass alles seine Schuld wäre. Wenn er ihr erzählt hätte, was geschehen war, hätte er ihr damit gezeigt, was für ein dreckiges kleines Monster er war. Sobald er versuchte, die Worte herauszubringen, schwoll ihm die Kehle zu,

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