Nicholas Dane (German Edition)
eines: vergessen. Und nie, nie darüber reden, nie darüber nachdenken, nur vergessen.
»Aber weißt du was, Alter«, sagte Nick. »Wenn du noch immer die Flatter machen willst: Ich bin dabei.«
»Klar will ich«, sagte Davey. Und das war’s. Sie würden ihre Zukunft in die eigenen Hände nehmen. Jetzt mussten sie nur noch entscheiden, wie und wann.
»Und Oliver auch«, sagte Nick.
Davey blickte ihn von der Seite an. »Oliver?«
»Oliver nehmen wir mit.«
Davey dachte nicht einen Moment nach. »Du hast ’ne Panne«, sagte er. »Der is nur dein Freund gewor’n, damit Creal an dich rankommt. So ’m Typen kannste nich traun.«
Nick zuckte die Achseln. Er war fest davon überzeugt, dass Vertrauen mit Vertrauen erwidert wurde. So handelte er, und daran gab es nichts zu deuteln.
Aber es würde nicht leicht werden. Oliver hatte vor langer Zeit gelernt, dass man niemandem trauen konnte. Was waren Freunde? Olivers Erfahrung nach waren es Menschen, die etwas voneinander wollten. Wenn sie ihr Ziel erreicht hatten oder was anderes wollten, hörten sie auf, Freunde zu sein – so einfach war das. Nick war Olivers Freund gewesen, aber letztlich hatte Nick sich auch nicht besser verhalten als alle anderen. Eigentlich sogar schlimmer. Oliver war schon oft verprügelt worden, aber noch nie so übel wie von Nick. So was würde ihm nicht noch einmal passieren.
Daher drehte er sich weg, als Nick ihn um Vergebung bitten wollte. Auch bei Nicks zweitem Versuch wandte sich Oliver ab. Beim dritten Mal schaute er an Nicks Gesicht vorbei und sagte: »Wenn du noch mal in meine Nähe kommst, dann sorg ich dafür, dass die das noch mal tun, was sie mit dir gemacht haben.«
Er sah Nicks enttäuschtes Gesicht, sah ihn zur Seite blicken, aus Angst, jemand hätte zugehört und alle würden von seiner Schande erfahren. Er nickte und ging weg.
Nick hielt sich von Oliver fern – zwei Tage lang. Nick kaute auf seinen Lippen herum, überwand seinen Stolz, fing sich und versuchte es noch einmal. Er passte Oliver im Schulkorridor ab.
»Ich hatte keine Ahnung«, sagte er. »Creal hatte versprochen, dass er mich hier rausholt, und dann hat er gesagt, ich muss bleiben. Ich war total fertig. Ich war auf ihn wütend. Es tut mir wirklich leid. Komm schon, lass gut sein. Ich bin dein Freund.«
»Du bist nicht mein Freund«, sagte Oliver.
»Doch. Bin ich. Und da kannst du gar nichts gegen machen.«
Oliver schüttelte den Kopf und ging weiter. Nick beließ es dabei. Er hatte gesagt, was zu sagen war, und er war bereit, es auch noch einmal zu sagen, wenn es nötig war, aber für den Augenblick war er einfach nur froh, es herausgebracht zu haben.
Aus Meadow Hill zu entkommen würde schwierig werden.
Davey zufolge gab es zwei Möglichkeiten. Zum einen über den Flatterweg. Das war ein kleiner Kopfsteinpflasterpfad hinter dem Hauptgebäude, zerfurcht, knöcheltief mit Schlamm bedeckt, der die Hälfte des Jahres unter Wasser stand. Er führte eine halbe Meile durch unwegsames, morastiges Waldgelände bis nach draußen. Das war der beliebteste Fluchtweg – daher der Name. Das Betreten dieses Teils des Geländes war verboten, und nur morgens, wenn sie in Zweierreihen zur Schule marschierten, kamen sie überhaupt in die Nähe des Flatterwegs, aber selbst dann waren sie immer noch zweihundert Meter von ihm entfernt.
Ein Junge namens Terry hatte es versucht, vor zwei Tagen erst. Als sie zum Flatterweg kamen, lief er, ohne ein Wort zu sagen, los und holte einen Vorsprung von gut zehn Metern heraus, bevor die Aufsichtsschüler seine Flucht bemerkten. Ein riesiges Geheul hob an – der Jagdruf – und die Jäger rannten hinter ihm her. Terry war ein guter Läufer, aber nicht gut genug. Er hatte gehofft, seine Verfolger hinten im Dickicht abschütteln zu können, aber genau dort erwischten sie ihn, was wirklich Pech war, denn jetzt gab es niemanden mehr, der ihnen hätte Einhalt gebieten können. Als die Jäger Terry zurückbrachten, war er übel zugerichtet – die Nase blutig, ein blaues Auge, die Rippen geprellt und er hinkte.
In Meadow Hill mochte man keine Ausbrecher. Ausbrecher machten sich schlecht im Bericht.
Die zweite Möglichkeit: nächtlicher Ausbruch aus den Schlafräumen. Zwar wurde nachts die Tür zur Treppe nach unten abgeschlossen und aus dem Fenster springen konnte man vom ersten Stock aus nicht, doch am Ende des Flurs gab es ein Fenster, das zum Dach von Toms’ Wohnung führte. Wenn man durch dieses Fenster stieg, konnte man
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