Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
Mit spitzer Zunge fuhr sie sich über die Lippen. Sie drehte sich wieder zu den Zwillingen um. »Steigt aus.«
Sophie und Josh schauten Flamel an, und als dieser nickte, stiegen sie aus. Sophie ging um den Wagen herum und stellte sich neben ihren Bruder.
Zu ihr ging Hekate zuerst. Sophie zuckte kurz zurück, als die Göttin ihre linke Hand ergriff und die Handfläche nach oben drehte. Als sie sich Josh zuwandte, legte der ohne zu zögern seine Hand in ihre. Er versuchte lässig zu wirken, so als gäbe er jeden Tag einer zehntausend Jahre alten Göttin die Hand. Ihre Haut fühlte sich überraschend rau an.
Hekate sagte nur ein einziges Wort in einer Sprache, die vermutlich auf eine Zeit vor der Ankunft der ersten menschlichen Zivilisationen zurückging.
»Orangen«, flüsterte Josh, der die Frucht plötzlich roch und dann auch schmeckte.
»Nein, Eis«, sagte Sophie, »frisch zubereitetes Vanilleeis.« Sie drehte den Kopf… und sah, dass ihr Bruder sie ehrfürchtig anstarrte.
Ein silberner Schimmer umgab Sophie. Wie eine dünne zweite Haut hüllte er sie ein, flackerte auf und verschwand wieder. Als sie blinzelte, um ihren Bruder zu betrachten, wurden ihre Augen zu flachen Spiegeln.
Josh war von einem warmen Goldton umgeben. Das Schimmern konzentrierte sich bei ihm auf Kopf und Hände und pulsierte im Rhythmus seines Herzschlags. Die Iris seiner Augen glich goldenen Münzen.
Die Zwillinge konnten das Licht, das sie einhüllte, zwar sehen, an sich selbst und am anderen, spürten aber keinerlei Veränderung an sich. Nur der Duft war neu: nach Orangen und Vanille.
Wortlos ließ Hekate die Hände der Zwillinge los und sofort verblasste das Licht. Sie ging zu Flamel, nahm ihn am Arm und zog ihn den Weg hinunter, außer Hörweite von Scatty und den Zwillingen.
»Hast du eine Ahnung, was das sollte?«, fragte Sophie die Kriegerprinzessin. Ihre Stimme zitterte, und sie hatte noch den Geschmack von Vanille auf der Zunge und roch den Duft, der immer noch in der Luft lag.
»Die Göttin hat eure Aura getestet.«
»Der goldene Schimmer um Josh war seine Aura?«, fragte Sophie und sah ihren Bruder an.
»Deine war silbern«, sagte Josh.
Scathach hob einen flachen Kieselstein auf und warf ihn ins Gebüsch. Er traf etwas, das sofort durchs Unterholz davontrottete. »Die Aura ist meist vielfarbig. Sehr, sehr, sehr wenige Leute haben reine Farben.«
»So wie wir?«
»Wie ihr«, erwiderte Scatty mürrisch. »Die letzte Person mit einer reinen Silberaura, die ich traf, war eine als Johanna von Orléans bekannt gewordene junge Frau.«
»Und was hat es mit einer goldenen Aura auf sich?«, wollte Josh wissen.
»Die ist noch seltener. Der Letzte mit einer Aura in dieser Farbe war … lass mich überlegen … der junge König Tutanchamun.«
»Wurde er deshalb mit so viel Gold begraben?«
»Das war einer der Gründe, ja«, bestätigte Scathach.
»Sag jetzt nicht, du hast König Tut gekannt«, neckte Josh sie.
»Den nicht«, erwiderte Scatty ernst, »aber ich habe die kleine Johanna ausgebildet und an ihrer Seite in Orléans gekämpft. Ich habe ihr gesagt, sie soll nicht nach Paris gehen«, fügte sie leise und traurig hinzu.
»Hey, meine Aura ist seltener als deine.« Mit dieser Neckerei versuchte Josh, die gedrückte Stimmung aufzulockern. Er wandte sich wieder an Scathach. »Aber was bedeutet es genau, eine reinfarbene Aura zu haben?«
Scathachs Gesicht verriet nichts, als sie antwortete: »Es bedeutet, dass ihr außergewöhnliche Kräfte habt. Alle großen Magier und Zauberer der Vergangenheit, die heroischen Befehlshaber und begnadeten Künstler hatten reinfarbige oder einfarbige Auren.«
Die Zwillinge schauten sich verunsichert an. Das war jetzt wirklich zu verrückt und etwas an Scathachs ausdrucksloser Miene erschreckte sie.
Plötzlich waren Sophies Augen voller Angst. »Mir ist gerade eingefallen, dass beide, Johanna von Orléans und Tutanchamun, jung gestorben sind.«
»Sehr jung«, bestätigte Josh ernüchtert. Er hatte in Geschichte immer gut aufgepasst. »Beide waren gerade mal neunzehn.«
»Stimmt.« Scathach drehte sich um und schaute hinüber zu Nicholas Flamel und der Göttin mit den drei Gesichtern.
»Humani!«, zischte Hekate. »Humani mit silberner und goldener Aura.« Sie klang verwirrt und wütend zugleich.
»Das kam schon vor«, erinnerte Flamel sie nachsichtig.
»Glaubst du, das weiß ich nicht?«
Sie standen am Ufer eines plätschernden Baches, der sich zwischen den Bäumen
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