Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
Scathach an der Schulter packen. Seine Finger berührten sie nicht einmal. Er wurde gepackt und herumgewirbelt und dann flog er durch die Luft. Er landete so hart, dass es ihm den Atem nahm. Sein Blick kroch die ganze Länge von Scathachs Schwert hinauf – die Spitze war genau auf seine Nasenwurzel gerichtet.
Als Scathach den Mund aufmachte, kam kaum mehr als ein Flüstern heraus. »Gestern Abend hast du eine Erstgewesene beleidigt. Heute hast du es geschafft, eine Ältere aus der nächsten Generation zu verärgern – und die Sonne ist noch nicht einmal aufgegangen.« Sie steckte ihr Schwert in die Scheide und sah hinüber zu Sophie, die fassungslos dastand. Sie hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass Scathach sich bewegt hatte. »Ist er immer so?«, fragte Scatty.
»Wie?«
»Dumm, vorlaut, leichtsinnig…? Soll ich noch mehr aufzählen?«
»Nicht nötig. Aber ja, so ist er normalerweise. Manchmal noch schlimmer.« Früher hatte sie Josh immer damit aufgezogen, dass er alle »Action-Gene« abbekommen hätte, sie dagegen die »Denker-Gene«. Ihr Bruder war impulsiv und oft gedankenlos, aber – und das musste man ihm zugutehalten – auch loyal und zuverlässig.
Scathach zog Josh auf die Beine. »Wenn du in dieser Geschwindigkeit weitermachst, hältst du dich in dieser Welt nicht lang.«
»Ich wollte dich nur etwas fragen.«
»Du hast Glück gehabt. Noch vor wenigen Jahrhunderten hätte ich dich wahrscheinlich umgebracht. Ich war leicht reizbar, als ich jünger war«, gab sie zu, »aber ich habe an mir gearbeitet und habe mich jetzt besser unter Kontrolle.«
Josh rieb sich das Kreuz. Hätte Scathach ihn auf die Steine knallen lassen, hätte er sich böse verletzen können, doch sie hatte darauf geachtet, dass er im Gras und Moos landete. »Das war wohl ein Judowurf.« Er wollte lässig klingen, aber seine Stimme bebte noch.
»So etwas Ähnliches…«
»Wo hast du denn Judo gelernt?«
»Ich habe es nicht gelernt. Ich habe es erfunden. Genauer gesagt habe ich den Grundstein für die Vorläufer fast aller Kampfsportarten gelegt, die heute gelehrt werden«, erwiderte die rothaarige Kriegerprinzessin augenzwinkernd. Ihre grünen Augen blitzten. »Es würde euch beiden nicht schaden, wenn ich euch ein paar einfache Übungen zeigen würde.«
»Ich glaube, wir schaffen mehr als nur die einfachen Übungen«, meinte Josh. »Als unsere Eltern einen Lehrstuhl an der Uni in Chicago hatten, haben wir zwei Jahre lang Teakwondo gemacht und in New York ein Jahr Karate…«
»Du hast dir Judo ausgedacht?«, fragte Sophie Scathach, wobei sie versuchte, möglichst neutral zu klingen.
»Nein, das moderne Judo hat Kano Jigoro begründet, aber sein Kampfsystem basiert auf Jujitsu, das wiederum mit Aikido verwandt ist, das um das vierzehnte Jahrhundert herum aufkam. Ich glaube, ich war zu der Zeit in Japan. Alle Kampfsportarten haben eine gemeinsame Wurzel. Und die bin ich«, erklärte Scatty, und was sie sagte, klang gar nicht prahlerisch, sondern bescheiden. »Wenn ihr schon ein bisschen Taekwondo und Karate könnt, ist das ganz nützlich. Los, ich zeige euch ein paar Grundübungen, während wir auf Nicholas warten.«
»Wo ist er?« Sophie schaute zurück zum Haus. Was passierte dort gerade? »Bittet er Hekate noch einmal, unsere magischen Kräfte zu wecken?«
»Höchstwahrscheinlich.«
»Aber Hekate hat doch gesagt, dass uns das töten könnte«, sagte Josh. Langsam hatte er den Verdacht, dass Flamel sich mehr vorgenommen hatte, als nur ihn und seine Schwester zu schützen. Der Alchemyst schien seine eigenen Pläne zu verfolgen.
»Das war nur so dahergesagt«, meinte Scatty. »Sie hat schon immer gern ein Drama aus allem gemacht.«
»Dann ist Nicholas sicher, dass keine Gefahr besteht und uns nichts passieren kann?«, wollte Josh wissen.
»Nein, wirklich sicher ist er nicht.« Scatty lächelte. »In Gefahr seid ihr auf jeden Fall, das kannst du mir glauben. Der einzige Unterschied besteht darin, dass ihr dann in großer Gefahr seid.«
Nicholas Flamel folgte Hekate durchs Haus. Sie strich mit den Fingern an den Wänden entlang und ihre Berührung ließ junge Zweige mit Blättern und Blüten wachsen.
»Ich brauche deine Hilfe, Hekate. Ich kann das nicht allein«, rief Flamel hinter ihr her.
Die Göttin ignorierte ihn. Sie bog in einen langen, geraden Flur ab und lief rasch weiter. Die Grasbüschel, die unter ihren Füßen aus dem Boden schossen, wuchsen schnell, und bis Flamel den Flur zur Hälfte
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