Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
einfach wissen, was mit Hekate geschah.
Auch die Göttin mit den drei Gesichtern starb.
Hekate stand reglos vor ihrem zerbrechenden Baum und innerhalb weniger Herzschläge veränderte sich ihr Gesicht immer wieder von dem jungen Mädchen über die reife Frau zur todgeweihten Greisin. Das ging so schnell, dass der Rest ihres Körpers keine Zeit hatte, sich anzupassen, und die Phasen sich für den Beobachter vermischten: Da waren junge Augen in einem alten Gesicht; der Kopf eines Mädchens auf dem Körper einer Frau; der Körper einer Frau mit Kinderarmen. Hekates sich ständig veränderndes Gewand hingegen hatte alle Farbe verloren und war genauso schwarz wie ihre Haut.
Dee stellte sich schweigend neben die Morrigan. Dann kam auch noch Bastet dazu, und zusammen verfolgten sie die letzten Augenblick von Hekate und dem Weltenbaum.
Der Baum war inzwischen fast ganz von einer blauen Eisschicht überzogen. Gefrorene Wurzeln hatten den Boden aufgebrochen und die Symmetrie der Anlage zerstört. In dem gewaltigen Stamm klafften Löcher, die den Blick auf die runden Räume im Inneren freigaben: Sie alle waren im blauen Eis erstarrt und unbewohnbar geworden.
Hekates rasende Veränderung verlangsamte sich. Es dauerte länger, bis die Wechsel sich vollzogen, da auch bei ihr nun kaltes Blau von unten an ihrem Körper emporkroch, sich ausbreitete, die Haut erstarren ließ und mit Eiskristallen überzog.
Die Morrigan schaute kurz auf das Schwert in Dees Hand, wandte den Blick aber sofort wieder ab. »Selbst nach all den Jahren in unseren Diensten schaffst du es immer noch, uns zu überraschen, Dr. Dee«, bemerkte sie leise. »Ich wusste nicht, dass du das Eisschwert besitzt.«
»Ich bin froh, dass ich es mitgebracht habe«, erwiderte Dee, ohne direkt auf die angedeutete Frage einzugehen. »Hekate war wohl doch mächtiger, als wir annahmen. Wenigstens hat sich meine Vermutung – dass ihre Kraft mit der des Baumes im Zusammenhang steht – bestätigt.«
Ein einziger Eisblock war alles, was vom Weltenbaum übrig geblieben war. Auch Hekate war jetzt vollständig mit einer blauen Eisschicht überzogen, nur ihre buttergelben Augen waren noch voller Leben und glänzten. Die Spitze des Baumes begann zu schmelzen, schmutziges Wasser lief am Stamm hinunter und grub tiefe Rillen ins Eis.
»Als ich merkte, dass sie deinen Zauber außer Kraft setzen kann, wusste ich, dass ich eingreifen muss«, sagte Dee. »Ich habe gesehen, wie die Katzen und Vögel wieder ihre natürliche Gestalt annahmen.«
»Das hatte nichts mit Hekate zu tun«, rief Bastet. Sie sprach mit starkem Akzent und ihre Stimme klang wie die einer Löwin.
Die Morrigan und Dee wandten sich der Katzengöttin zu. Bastet hob eine Pfote und zeigte über die Wiese. »Das Mädchen war’s. Jemand hat durch sie gesprochen, jemand, der meine wahren Namen kennt, jemand, der die Aura des Mädchens benutzte, um reine Energie entstehen zu lassen. Das war es, was unsere Verwandlungszauber aufgehoben hat.«
Dee schaute hinüber zu der Eiche, wo zuvor Flamel, Scatty und die Zwillinge gestanden hatten. Jetzt war keine Spur mehr von ihnen zu sehen. Dee wollte gerade die letzten Katzen und Vögel auf die Suche nach ihnen schicken, als er Senuhet daherwanken sah. Der alte Mann war von oben bis unten mit Schmutz und Blut bespritzt – wobei das Blut nicht von ihm zu stammen schien -, und er hatte nur noch eines seiner gebogenen Bronzeschwerter bei sich. Die Klinge war abgebrochen.
»Flamel und die anderen sind entwischt«, keuchte er. »Ich bin ihnen bis über die Grenze des Schattenreichs gefolgt. Sie haben unseren Wagen gestohlen«, fügte er entrüstet hinzu.
Mit einem Wutschrei drehte Dee sich um und schleuderte Excalibur gegen den Weltenbaum. Die mächtige Klinge traf den Stamm, und es klang, als würde eine Glocke angeschlagen. Der hohe, klare Ton hing in der Luft – und dann begann Hekates Baum auseinanderzubrechen. Lange Risse bildeten sich im Stamm, begannen unten als schmale Rillen und liefen im Zickzack nach oben, wo sie immer breiter wurden. Innerhalb von Sekunden war der ganze Baum mit dem Zickzackmuster überzogen. Dann bebte er und brach auseinander – stürzte krachend auf die Statue aus Eis, die einmal Hekate gewesen war, und zermalmte sie.
KAPITEL DREISSIG
J osh Newman riss die Tür des schwarzen Geländewagens auf. Eine Welle der Erleichterung überflutete ihn. Der Schlüssel steckte. Josh öffnete auch die hintere Tür und hielt sie auf, bis Flamel mit Sophie auf
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