Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
hatte Flamel getan? Es war alles seine Schuld. Die Erstgewesene hätte die Kräfte der Zwillinge von sich aus nie geweckt. Sie wusste um die damit verbundenen Gefahren. Aber Flamel hatte nicht locker gelassen und seinetwegen war Hekates paradiesisches Schattenreich jetzt zerstört worden und er kannte seine Schwester nicht mehr.
Als Josh angefangen hatte, für Flamel zu arbeiten, den er damals noch als Nick Fleming kannte, hatte er ihn für etwas sonderbar gehalten, exzentrisch, vielleicht sogar ein bisschen verrückt. Doch als er ihn näher kennenlernte, hatte er ihn ins Herz geschlossen und angefangen, ihn zu bewundern. Fleming war all das, was Joshs Vater nicht war. Er hatte Humor, interessierte sich einfach für alles, was Josh tat, hatte ein phänomenales Allgemeinwissen und nahm überhaupt Anteil an der ganzen Welt. Von seinem Vater wusste Josh, dass der nur wirklich glücklich war, wenn er vor einem Hörsaal voller Studenten stand oder bis zu den Knien im Dreck einer Ausgrabungsstätte.
Fleming war anders. Als Josh Bart Simpson zitiert hatte, konterte Fleming mit Groucho Marx. Dann ging er noch einen Schritt weiter und machte Josh mit den Filmen der Marx Brothers bekannt. Beide liebten sie Musik – auch wenn ihr Geschmack höchst unterschiedlich war. Durch Josh lernte Nick Green Day kennen, Lamb und Dido. Fleming empfahl ihm Genesis und Pink Floyd. Als Josh ihm auf seinem iPod Ambientund Trance-Musik vorspielte, lieh Fleming ihm CDs von Mike Oldfield und Brian Eno. Josh erklärte Fleming, was Blogging ist, und zeigte ihm seinen und Sophies Blog. Sie hatten sogar darüber gesprochen, den gesamten Lagerbestand der Buchhandlung online zu stellen.
Mit der Zeit hatte Josh in Fleming den älteren Bruder gesehen, den er sich immer gewünscht hatte. Und jetzt hatte dieser Mann ihn betrogen.
Flamel hatte ihn von Anfang an belogen. Nicht einmal seinen richtigen Namen hatte er ihm gesagt. In Joshs Kopf begann sich eine unangenehme Frage zu formen. Mit leiser Stimme, die Augen vor sich auf die Straße gerichtet, fragte er: »Hast du gewusst, dass das alles passieren würde?«
Flamel lehnte sich auf dem weichen Ledersitz zurück und wandte sich dann Josh zu, beide Hände am Sicherheitsgurt. »Dass was passieren würde?«, fragte er vorsichtig zurück.
»Du weißt schon. Und ich bin kein Kind mehr«, erwiderte Josh, wobei er immer lauter wurde, »also rede nicht so mit mir.« Sophie murmelte etwas im Schlaf, und Josh zwang sich, wieder leiser zu reden. »Hat dein kostbares Buch das alles vorhergesagt?« Aus dem Augenwinkel sah er, wie Scatty ein Stück nach vorn rutschte, um Flamels Antwort nicht zu verpassen.
Flamel nahm sich lange Zeit, bevor er antwortete. Schließlich sagte er: »Es gibt da noch einiges, was du zu Abrahams Buch der Magie wissen musst.« Als er sah, dass Josh den Mund öffnete, fuhr er rasch fort: »Nein, lass mich zu Ende reden. Ich wusste immer, dass der Codex alt ist. Aber von seinem tatsächlichen Alter hatte ich keine Ahnung. Gestern nun sagte mir Hekate, sie sei dabei gewesen, als Abraham ihn zusammengestellt hätte… was dann wohl mindestens zehntausend Jahre her wäre. Die Welt war damals grundverschieden von unserer heutigen. Man geht allgemein davon aus, dass die Menschen irgendwann in der Mitte der Steinzeit auftauchten. Die Wahrheit allerdings sieht völlig anders aus. Sie steckt in unseren Sagen und Legenden. Die Erstgewesenen regierten damals die Welt. Wenn man den Sagen glaubt, konnten sie fliegen, besaßen Schiffe, mit denen sie die Ozeane überquerten, konnten das Wetter beeinflussen und beherrschten das, was wir heute Klonen nennen, in Perfektion. In anderen Worten: Sie hatten Zugang zu so fortgeschrittenen wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass wir es Zauberei nennen würden.«
Josh schüttelte den Kopf.
»Bevor du jetzt behauptest, das sei alles viel zu weit hergeholt, denk doch nur mal, wie weit die menschliche Rasse in den letzten zehn Jahren gekommen ist. Hätte zum Beispiel jemand vor zehn Jahren deinen Eltern gesagt, sie könnten ihre gesamte Musiksammlung in der Hosentasche mit sich herumtragen – hätten sie es geglaubt? Wir haben heute Telefone, in denen mehr Elektronik steckt, als verwendet wurde, um die ersten Raketen ins Weltall zu schießen. Wir haben Elektronenmikroskope, mit denen wir einzelne Atome erkennen können. Wir heilen heute routinemäßig Krankheiten, die noch vor fünfzig Jahren tödlich verliefen. Und die Neuerungen folgen immer schneller
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