Nicholas Flamel Bd. 2 Der dunkle Magier
Gold.
»Du wirst deutlich hören …«
Rauch ringelte sich aus den Ohren des Jungen.
»Du wirst vielfältig schmecken …«
Josh musste husten. Eine safranfarbene Wolke kam aus seinem Mund und zwischen seiner Zunge und seinen Zähnen tanzten winzige bernsteinfarbene Fünkchen.
»Du wirst empfindsam tasten …«
Josh hob die Hände vors Gesicht. Sie leuchteten so hell, dass sie fast durchsichtig waren. Funken sprangen zwischen den Fingern hin und her und seine abgekauten Fingernägel verwandelten sich in glänzende Spiegel.
»Du wirst intensiv riechen …«
Inzwischen war Joshs Kopf fast völlig eingehüllt von einer goldenen Rauchwolke. Der Rauch kam aus seiner Nase, sodass es aussah, als atme er Feuer. Seine Aura hatte sich verdichtet, war um die Schultern und über der Brust fest geworden, eine glänzende Hülle, in der andere sich hätten spiegeln können.
Noch einmal berührte der Gott mit seinem Schwert leicht Joshs Schulter. »Deine Aura ist wirklich eine der kraftvollsten, die ich je gesehen habe. Ich kann dir noch etwas geben, ein Geschenk, für das du nicht bezahlen musst. Es wird dir in der kommenden Zeit von Nutzen sein.« Er streckte die linke Hand aus und legte sie dem Jungen auf den Kopf. Sofort flackerte Joshs Aura blendend hell auf. Gelbe Feuerkugeln und Blitze lösten sich und schossen durch die Kammer. Phobos und Deimos wurden von der Explosion aus Licht und Hitze erfasst und flüchteten sich kreischend hinter das Podest. Doch ihre blasse Haut war bereits gerötet und das schneeweiße Haar war an den Spitzen dunkel und brüchig geworden.
Das gleißende Licht zwang auch Dee auf die Knie. Er presste die Hände auf die Augen. Als die Feuerkugeln an der Decke, den Wänden und dem Boden abprallten, ließ er sich zur Seite fallen und barg das Gesicht in den Armen.
Nur Machiavelli hatte der vollen Wucht der Explosion ausweichen können. Er war im letzten Augenblick, bevor Mars den Jungen berührt hatte, nach draußen geschlüpft und hatte sich in der Dunkelheit des Tunnels auf dem Boden zusammengerollt, während in der Kammer gelbe Lichtbänder hin und her geflogen waren und zischende Kugeln aus reiner Energie ihr gleißendes Licht auf den Gang geschickt hatten. Machiavelli war schon früher Zeuge von Erweckungen geworden, doch so dramatisch war noch keine verlaufen. Was machte Mars nur mit dem Jungen? Was war das für ein Geschenk, das er ihm gab?
Dann sah er verschwommen eine silberne Gestalt am anderen Ende des Ganges auftauchen.
Und Vanilleduft erfüllte die Katakomben.
K APITEL E INUNDFÜNFZIG
D ie Morrigan hockte, umgeben von riesenhaften Krähen, ganz oben auf dem Wasserturm und sang leise vor sich hin. Es war ein Lied, das schon die allerersten Menschen gehört hatten und das jetzt tief in der menschlichen DNA verankert war. Es war eine langsame, getragene Melodie, selbstvergessen, klagend, wunderschön … und erschreckend bis ins Mark. Es war das Lied der Morrigan, geschaffen, um Angst und Grauen zu verbreiten. Auf den Schlachtfeldern der ganzen Welt war es über alle Zeiten hinweg oft das Letzte gewesen, was ein Mensch in seinem Leben gehört hatte.
Die Morrigan zog ihren schwarzen Federumhang enger um sich und blickte über die nebelverhangene Bucht hinüber nach San Francisco. Sie spürte die Hitze der vielen Humani, sah das flirrende Leuchten von fast einer Million Auren in der Stadt. Und jede Aura umgab einen aus der Rasse der Humani, und alle waren sie von Angst und Sorge erfüllt, von Gefühlen, wie sie köstlicher nicht sein konnten. Sie presste die Handflächen aufeinander und führte ihre Klauen an ihre schmalen schwarzen Lippen. Ihre Vorfahren hatten sich von den Humani ernährt, hatten ihre Erinnerungen getrunken, ihre Gefühle genossen wie einen guten Wein. Bald … oh, so bald war sie frei und konnte sich diesen Genüssen erneut hingeben.
Doch vorher durfte sie sich noch an einem anderen Festessen laben.
Sie hatte einen Anruf von Dee erhalten. Er und seine Älteren hatten endlich einsehen müssen, dass es inzwischen zu gefährlich geworden war, sowohl Nicholas als auch Perenelle am Leben zu lassen. Und so hatte er es ihr übertragen, die Zauberin zu töten.
Die Morrigan hatte hoch oben auf dem San Bernardino einen Horst. Dorthin würde sie Perenelle bringen und ihr dann im Verlauf der nächsten Tage sämtliche Erinnerungen und Gefühle aussaugen, bis nichts mehr übrig war. Perenelle hatte fast siebenhundert Jahre lang gelebt. Sie hatte die ganze Erde bereist und
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