Nicholas Flamel Bd. 2 Der dunkle Magier
der ausgestreckten linken Hand; die rechte lag auf dem Kopf ihres Bruders. Joshs Aura loderte wie ein Buschfeuer und hüllte ihn in goldenes Licht. Gelbe Flammen zuckten um ihn herum und sandten Kugeln und Blitze aus reiner Energie aus. Sie fuhren in die Wände und in die Decke, rissen im Lauf der Zeit vergilbte Knochenstücke heraus, sodass das Weiße darunter hervorschaute.
»Josh!«, schrie Sophie.
Der Gott drehte langsam den Kopf und schaute sie mit seinen rot glühenden Augen an. »Hinaus mit dir!«, befahl er.
Sophie schüttelte den Kopf. »Nicht ohne meinen Bruder«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. Sie würde ihren Zwillingsbruder nicht im Stich lassen. Niemals.
»Er ist nicht mehr dein Bruder«, erwiderte Mars nachsichtig. »Euch verbindet nichts mehr.«
»Er wird immer mein Bruder bleiben«, widersprach sie heftig.
Als sie weiter in die Kammer hineinging, schickte sie eine eiskalte silberne Nebelwelle voraus, die ihren Bruder und den Älteren überrollte. Sie zischte, als sie auf Joshs Aura traf. Schmutzig weißer Rauch stieg auf und sammelte sich unter der Decke. Auf der verkrusteten Haut von Mars gefror der Nebel und Eiskristalle glitzerten im bernsteinfarbenen Licht.
Langsam senkte der Gott sein Schwert. »Hast du eine Vorstellung davon, wer ich bin?«, fragte er leise, fast liebevoll. »Wenn ja, würdest du mich fürchten.«
»Du bist Mars Ultor«, antwortete Sophie aus dem Wissen der Hexe von Endor heraus. »Und bevor die Römer dich verehrt haben, kannten die Griechen dich als Ares, und davor nannten die Babylonier dich Nergal.«
»Wer bist du?« Die Hand des Älteren war von Joshs Kopf gerutscht. Im selben Moment war Joshs Aura erloschen und die Flammen waren in sich zusammengefallen.
Josh schwankte, und Sophie konnte ihn gerade noch auffangen, bevor er umkippte. In dem Augenblick, in dem sie ihn berührte, löste ihre Aura sich auf, und sie war ohne jeden Schutz. Doch Angst hatte sie längst keine mehr; sie empfand nichts, außer Erleichterung darüber, dass sie wieder bei ihrem Bruder war. Sie kniete auf dem Boden, hielt Josh fest im Arm und schaute zu dem riesenhaften Kriegsgott auf. »Und vor Nergal warst du der Held der Menschheit. Du warst Huitzilopochtli. Du hast die versklavten Menschen in die Freiheit geführt, als Danu Talis in den Wellen versank.«
Der Gott wankte zurück. Seine Kniekehlen trafen auf den Rand des Podests und er setzte sich abrupt. »Woher weißt du das?«, fragte er, und es klang fast so, als schwinge Angst in seiner Stimme mit.
»Du hast an der Seite der Hexe von Endor gekämpft.« Sophie richtete sich auf und zog ihren Bruder auf die Füße. Seine Augen waren offen, doch man sah nur das Weiße. »Die Hexe von Endor hat mir alle ihre Erinnerungen gegeben«, fuhr sie fort. »Ich weiß, was du getan hast. Und warum sie dich verflucht hat.« Sie streckte die Hand aus und berührte die steinharte Haut des Gottes mit den Fingerspitzen. Ein Funke sprang über. »Ich weiß, warum sie deine Aura in das hier verwandelt hat.«
Damit legte sie sich den Arm ihres Bruders um die Schultern und wandte dem Kriegsgott den Rücken zu. Flamel, Saint-Germain und Johanna warteten in der Tür. Johanna hielt ihr Schwert locker in der Hand, die Spitze auf Dee gerichtet, der reglos am Boden lag. Niemand sprach.
»Wenn du das Wissen der Hexe in dir trägst«, sagte Mars schließlich eindringlich, fast flehentlich, »dann kennst du auch ihre Zaubersprüche und magischen Formeln. Du weißt, wie du den Fluch aufheben kannst.«
Flamel eilte zu Sophie und wollte ihr Josh abnehmen, doch sie ließ es nicht zu. Sie blickte den Gott über die Schulter hinweg an und sagte sehr leise: »Ja, ich weiß, wie ich ihn aufheben kann.«
»Dann tu es«, befahl Mars. »Tu es, und du kannst alles von mir haben, was du willst. Es gibt keinen Wunsch, den ich dir nicht erfüllen könnte!«
Sophie überlegte einen Augenblick. »Kannst du mir meine geschärften Sinne nehmen? Kannst du mich und meinen Bruder wieder normal machen?«
Erst nach einer langen Pause antwortete der Gott: »Nein, das kann ich nicht.«
»Dann kannst du nichts für uns tun.« Damit wandte Sophie sich ab und brachte Josh mit Saint-Germains Hilfe hinaus auf den Gang. Johanna kam mit, sodass nur noch Flamel unter der Tür stand.
»Warte!« Der Gott hatte die Stimme erhoben und die gesamte Kammer bebte bei seinem Ruf. Phobos und Deimos kamen schnatternd hinter dem rissigen Podest hervor. »Du wirst diesen Fluch lösen, sonst
Weitere Kostenlose Bücher