Nicholas Flamel Bd. 2 Der dunkle Magier
ein Lügner, ein Scharlatan und ein Gauner.«
Und ein Spion, fügte Josh nun in Gedanken hinzu. Er fragte sich, ob Dee das auch wusste. Er schaute den ziemlich gewöhnlich aussehenden Alchemysten verstohlen an. Mit dem kurz geschorenen Haar und den hellen Augen, der schwarzen Jeans und dem T-Shirt unter einer abgewetzten schwarzen Lederjacke hätte er, ohne aufzufallen, durch jede beliebige Straße in jeder beliebigen Stadt der Welt gehen können. Und doch war er alles andere als gewöhnlich. Geboren im Jahr 1330, gab er vor, das Wohl der Menschheit im Blick zu haben, wenn er alles daransetzte, dass der Codex Dee und den rätselhaften, Furcht einflößenden Kreaturen, denen er diente, den Dunklen Älteren, nicht in die Hände fiel.
Doch wem dient Flamel?, fragte sich Josh. Wer war der unsterbliche Nicholas Flamel wirklich?
K APITEL S IEBEN
N iccolò Machiavelli hielt sein Temperament eisern im Zaum, als er die Treppe von Sacré-Cœur wieder hinunterstieg. Der Nebel wallte wie ein Umhang hinter ihm her, und obwohl er sich langsam aufzulösen begann, roch die Luft immer noch nach Vanille. Machiavelli legte den Kopf in den Nacken und atmete den Duft tief ein. Er würde sich immer an ihn erinnern; solche Düfte waren so unverwechselbar wie ein Fingerabdruck. Jeder, das wusste Machiavelli, besaß eine Aura. Sie war das elektrische Feld, das den menschlichen Körper umgab, und wenn dieses elektrische Feld konzentriert auf etwas Bestimmtes ausgerichtet wurde, hatte das Auswirkungen auf die Endorphin- und Adrenalinproduktion des Betreffenden. Die Drüsen produzierten dann einen speziellen Duft, den nur diese Person hatte und der kundigen Magiern als Erkennungsmerkmal dienen konnte. Machiavelli atmete noch einmal tief ein. Fast konnte er die Vanille in der Luft schmecken, frisch, klar und rein, der Geruch von rohen, ungeschulten Kräften.
Und in diesem Moment wusste Machiavelli ohne allen Zweifel, dass Dee recht hatte: Dies war der Geruch eines der legendären Zwillinge.
»Sorgen Sie dafür, dass das gesamte Gebiet abgeriegelt wird«, wies Machiavelli die hochrangigen Polizisten schroff an, die sich im Halbkreis am Fuß der Treppe, auf der Place Willette versammelt hatten. »Jede Straße, jede Gasse und jeder Durchgang von der Rue Custine bis zur Rue Caulaincourt und vom Boulevard de Clichy zum Boulevard de Rochechouart und der Rue de Clignancourt. Ich will, dass diese Leute gefunden werden!«
»Sie wollen den gesamten Montmartre abriegeln?«, fragte ein tief gebräunter Polizeibeamter in die darauf folgende Stille hinein. Er blickte in die Runde seiner Kollegen und wartete auf ihre Unterstützung, doch keiner wollte ihn anschauen. Also wandte er sich wieder an Machiavelli. »Wir sind mitten in der Feriensaison!«
Machiavelli schaute den Inspektor an, das Gesicht so starr wie die Masken, die er sammelte. Seine kalten grauen Augen bohrten sich in den Mann, doch als er sprach, hatte er seine Stimme bestens unter Kontrolle. »Sie wissen, wer ich bin?«, fragte er leise.
Der Inspektor, ein hochdekorierter Veteran der französi schen Fremdenlegion, spürte, wie sich etwas Kaltes, Saures in seiner Magengrube zusammenballte, als er dem Mann in die Augen schaute. Er leckte sich über die plötzlich trockenen Lippen und antwortete: »Sie sind Monsieur Machiavelli, der neue Chef des Geheimdienstes. Aber dies ist eine Angelegenheit der Polizei und nicht der staatlichen Sicherheit. Sie haben keine Befugnis – «
»Ich mache diesen Fall zu einer Angelegenheit des Geheimdienstes«, unterbrach ihn Machiavelli leise. »Meine Befugnis kommt direkt vom Staatspräsidenten. Falls nötig, werde ich die ganze Stadt abriegeln lassen. Ich will, dass diese Leute gefunden werden. Heute Nacht wurde eine Katastrophe abgewendet.« Er wies mit der Hand vage in Richtung Sacré-Cœur. Die Basilika tauchte langsam wieder aus dem sich verziehenden Nebel auf. »Wer weiß, welche weiteren Terroranschläge sie geplant haben. Ich erwarte jeweils zur vollen Stunde einen aktuellen Lagebericht.« Ohne auf eine Reaktion zu warten, drehte er sich um und marschierte zu seinem Wagen, neben dem sein Fahrer im dunklen Anzug wartete, die Arme vor der breiten Brust verschränkt.
Der Fahrer, dessen Gesicht halb von einer verspiegelten Sportsonnenbrille verdeckt war, öffnete die Wagentür, ließ Machiavelli einsteigen und schloss die Tür leise wieder. Dann setzte er sich hinters Steuer – die Hände in den schwarzen Handschuhen ruhten leicht auf dem
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