Nicholas Flamel Bd. 2 Der dunkle Magier
die du kennst, dich verlassen.
Schweigend gingen sie ein paar Schritte nebeneinanderher, dann sagte Scatty: »Ja, es war einsam. Sehr einsam.«
»Was Einsamkeit ist, weiß ich«, bemerkte Sophie gedankenverloren. »Unsere Eltern sind oft unterwegs, und wir ziehen von einer Stadt in die nächste, da ist es schwer, Freundschaften zu schließen. Und sie zu pflegen, ist fast unmöglich. Wahrscheinlich ist das der Grund, weshalb Josh und ich uns so nah sind: Wir hatten nur uns. Meine beste Freundin Elle wohnt in New York. Wir telefonieren oft, schreiben E-Mails und chatten über IM, aber gesehen habe ich sie seit Weihnachten nicht mehr. Sie schickt mir übers Handy jedes Mal Fotos von sich, wenn sie eine neue Haarfarbe hat, damit ich weiß, wie sie gerade aussieht.« Sophie lächelte bei dem Gedanken, wurde aber gleich wieder ernst. »Josh versucht erst gar nicht, Freunde zu finden.«
»Freunde sind wichtig«, sagte Scathach und drückte Sophies Arm. »Aber Freunde kommen und gehen, die Familie dagegen bleibt.«
»Was ist eigentlich mit deiner Familie? Die Hexe von Endor hat deine Mutter und einen Bruder erwähnt.« Noch während sie sprach, flatterten Bilder aus der Erinnerung der Hexe in ihren Kopf: eine ältere Frau mit spitzem Gesicht und blutroten Augen und ein aschfahler junger Mann mit flammend rotem Haar.
Scatty zuckte verlegen mit den Schultern. »Wir reden kaum noch miteinander. Meine Eltern waren Ältere, geboren und aufgewachsen auf der Insel Danu Talis. Als meine Großmutter Dora die Insel verließ, um die ersten Humani zu unterrichten, haben sie ihr das nie verziehen. Wie für viele Ältere waren die Humani für sie kaum mehr als wilde Tiere. ›Absonderlichkeiten‹ hat mein Vater sie genannt.« Ein verächtlicher Ausdruck huschte über Scattys Gesicht. »Wir waren immer voller Vorurteile. Ein noch viel größerer Schock war es für meine Eltern dann, als ich ihnen verkündet habe, dass auch ich mit den Humani zusammenarbeiten würde, dass ich für sie kämpfen und sie beschützen wollte, soweit ich das konnte.«
»Warum?«, wollte Sophie wissen.
Scattys Stimme wurde weich. »Mir war schon damals klar, dass den Humani die Zukunft gehört und die Tage des Älteren Geschlechts gezählt waren.« Sie schaute Sophie von der Seite an, und die war überrascht, als sie feststellte, dass Scathachs Augen feucht glänzten, fast so als stünden Tränen darin. »Meine Eltern haben mich gewarnt und mir gedroht, mich zu verstoßen, falls ich die Insel verlassen und Schande über den Namen der Familie bringen würde.«
»Aber du bist trotzdem gegangen«, nahm Sophie an.
Scathach nickte. »Ich bin gegangen. Tausend Jahre haben wir nicht miteinander gesprochen. Bis sie in Schwierigkeiten gerieten und meine Hilfe brauchten«, fügte sie mit einem bitteren Lächeln hinzu. »Jetzt haben wir gelegentlich Kontakt, aber ich glaube, ich bin ihnen immer noch peinlich.«
Sophie drückte ihre Hand. Sie wusste nicht so recht, wie sie auf das, was sie da gerade erfahren hatte, reagieren sollte, aber ihr war klar, dass Scatty ihr etwas sehr Persönliches anvertraut hatte, etwas, das die lebensalte Kriegerin wahrscheinlich noch nie zuvor jemandem erzählt hatte. »Es tut mir leid. Ich wollte dir nicht wehtun.«
Scathach erwiderte den Druck ihrer Hand. »Hast du auch nicht. Sie waren es, die mir wehgetan haben – vor mehr als zweitausend Jahren, aber ich erinnere mich noch daran, als sei es gestern gewesen. Es ist lange her, dass sich jemand die Mühe gemacht hat, sich nach meiner Vergangenheit zu erkundigen. Und glaub mir, sie war nicht nur schlimm. Es gab auch ganz wundervolle Zeiten«, sagte sie und strahlte wieder. »Hab ich dir erzählt, dass ich einmal Leadsängerin in einer Girlie-Band war? So etwas wie die Spice Girls im Goth-Punk-Look. Und wir haben nur Coverversionen von Tori Amos gesungen. In Deutschland waren wir damals ganz oben.« Sie senkte die Stimme. »Das Problem war nur, dass wir alle Vampire waren …«
Nicholas und Josh bogen in die Rue de Dunkerque ein und muss ten feststellen, dass es hier von Polizei nur so wimmelte.
»Geh weiter«, drängte Nicholas, als Josh langsamer wurde, »und verhalte dich ganz normal.«
»Normal«, murmelte Josh. »Ich weiß nicht mal mehr, was das ist.«
»Zügig gehen, aber nicht rennen«, erklärte Nicholas geduldig. »Du bist vollkommen unschuldig. Ein Schüler, der zum Unterricht geht oder zu seinem Ferienjob. Schau zu den Polizisten hin, aber starre sie nicht an. Und
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