Nicholas Flamel Bd. 2 Der dunkle Magier
Metrostation fragte Scathach die Frau am Zeitschriftenkiosk nach dem Weg. Es war eine kleine Chinesin, und sie sprach kaum Französisch, sodass Scatty rasch in eine andere Sprache wechselte. Sophie stellte überrascht fest, dass sie die Sprache fließend beherrschte – es war Mandarin. Die Frau kam lächelnd aus dem Kiosk und zeigte die Straße hinunter. Sie sprach so schnell, dass Sophie die einzelnen Worte nicht verstehen konnte, obwohl die Hexe die Sprache zu können schien. Es hörte sich an, als würde die Frau singen. Scathach dankte ihr und verneigte sich und die Chinesin erwiderte die Verneigung.
Sophie fasste Scathach am Arm und zog sie weg. »So viel zu einem unauffälligen Benehmen«, murmelte sie. »Die Leute haben dich schon angestarrt.«
»Warum denn?«, fragte Scatty, ehrlich erstaunt.
»Ach, wahrscheinlich nur, weil du weiß bist und fließend Chinesisch sprichst und dich dann verneigst«, erwiderte Sophie und grinste. »Die Show war nicht schlecht.«
»Eines Tages werden alle Mandarin sprechen und das Verbeugen hat einfach was mit guten Manieren zu tun.« Scathach ging die Straße hinunter in die Richtung, die die Frau angegeben hatte.
Sophie passte sich ihrem Schritt an. »Wo hast du Mandarin gelernt?«, wollte sie wissen.
»In China. Ich habe mit der Frau zwar Mandarin gesprochen, aber ich kann auch Wu und Kantonesisch. Ich habe in meinem langen Leben ziemlich viel Zeit im Fernen Osten verbracht. Es hat mir da immer sehr gut gefallen.«
Eine Weile gingen sie schweigend weiter, dann fragte Sophie: »Wie viele Sprachen sprichst du eigentlich?«
Scathach runzelte die Stirn und schloss kurz die Augen, während sie überlegte. »Sechs- oder sieben …«
Sophie nickte. »Sechs oder sieben, ich bin beeindruckt. Meine Eltern wollen, dass wir Spanisch lernen, und Dad bringt uns Griechisch und Lateinisch bei. Aber was ich wirklich gern lernen würde, wäre Japanisch. Ich möchte gern einmal nach Japan«, fügte sie hinzu.
»… sechs- oder siebenhundert«, beendete Scathach ihren Satz und musste laut lachen, als sie Sophies ungläubiges Gesicht sah. Sie hängte sich bei ihr ein. »Na ja, ich nehme mal an, dass ein paar davon inzwischen tote Sprachen sind, deshalb weiß ich nicht, ob man sie mitzählen darf. Aber vergiss nicht, es gibt mich schon ziemlich lang.«
»Lebst du wirklich schon seit zweieinhalbtausend Jahren?« Sophie betrachtete das Mädchen an ihrer Seite, das aussah wie maximal 17. Dann musste sie plötzlich grinsen. Nie im Leben hätte sie sich früher vorstellen können, jemals eine solche Frage zu stellen. Es war ein weiteres Beispiel dafür, wie drastisch ihr Leben sich verändert hatte.
»Zweitausendfünfhundertundsiebzehn Menschenjahre.« Scathach lächelte, ohne die Lippen zu öffnen. »Hekate hat mich einmal in einem ganz besonders scheußlichen Schattenreich in der Unterwelt im Stich gelassen. Es hat Jahrhunderte gedauert, bis ich da wieder rausgefunden habe. Und als ich jünger war, war ich lange in Lyonesse, Hy-Brasil und Tir na’n Og, Schattenreiche, in denen die Zeit anders läuft. Schattenreich-Zeit ist nicht dasselbe wie Humani-Zeit, deshalb zähle ich nur die Zeit, die ich hier auf der Erde verbracht habe. Und wer weiß, vielleicht findet ihr ja mal selbst heraus, was das bedeutet. Du und Josh, ihr seid einzigartig und besitzt außerordentliche Kräfte, und die werden sich noch steigern, wenn ihr erst alle Zweige der Elemente-Magie beherrscht. Falls ihr nicht selbst hinter das Geheimnis der Unsterblichkeit kommt, macht es euch vielleicht jemand zum Geschenk. Komm, gehen wir auf die andere Seite.« Sie fasste nach Sophies Hand und zog sie über die schmale Straße.
Obwohl es gerade erst sechs Uhr morgens war, herrschte bereits ziemlich viel Verkehr. Lieferwagen brachten ihre Ware in die Restaurants, und die kalte Morgenluft begann, verführerisch nach frischem Baguette, Croissants und Filterkaffee zu duften. Sophie atmete die vertrauten Gerüche ein und musste daran denken, dass sie Croissants und Kaffee vor gerade mal zwei Tagen in der »Kaffeetasse« noch selbst serviert hatte. Sie blinzelte die aufsteigenden Tränen fort. So viel war passiert, so viel hatte sich verändert in den letzten beiden Tagen. »Wie das wohl ist, so lang zu leben?«, überlegte sie laut.
»Einsam«, antwortete Scatty leise.
»Wie lang … wirst du noch leben?«, fragte sie die Kriegerin vorsichtig.
Scatty zuckte mit den Schultern und lächelte. »Wer weiß? Wenn ich immer schön
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