Nicholas Flamel Bd. 2 Der dunkle Magier
gesprochen hatte oder ob er ihre Stimme nur in seinem Kopf gehört hatte. »Der Albtraum ist bereits vorbei und wird nicht wiederkommen.« Es klang wie ein Versprechen.
Hinter Josh knarrte Holz, und als er sich rasch umdrehte, sah er den Comte de Saint-Germain eine schmale Treppe am Ende des Flurs herunterkommen. Am Fuß der Treppe angekommen, gab er Josh ein Zeichen mit der Hand, und obwohl seine Lippen sich nicht bewegten, hörte der Junge ganz deutlich seine Stimme: »Meine Frau kümmert sich um deine Schwester. Lass sie allein.«
Josh schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich sollte lieber bleiben.« Er wollte Sophie nicht mit der seltsamen Frau allein las sen, auch wenn er instinktiv wusste, dass Johanna seiner Schwester keinen Schaden zufügen wollte.
»Du kannst nichts für sie tun«, sagte Saint-Germain laut. »Zieh dich an und komm zu mir auf den Dachboden. Ich habe da oben mein Arbeitszimmer.« Damit drehte er sich um und ging die Treppe wieder hinauf.
Josh warf noch einmal einen Blick auf Sophie. Sie lag jetzt ruhig da und ihr Atem ging gleichmäßig.
»Geh jetzt«, bat Johanna. »Ich habe deiner Schwester ein paar Dinge zu sagen. Private Dinge.«
»Aber sie schläft doch …«, begann Josh.
»Ich werde sie ihr trotzdem sagen«, flüsterte die Frau, »und sie wird mich trotzdem hören.«
Zurück in seinem Zimmer, zog Josh sich rasch an. Auf einem Stuhl unter dem Fenster lag ein Bündel Kleider: Unterwäsche, Jeans, T-Shirt und Socken. Es nahm an, dass es Sachen von Saint-Germain waren, der ungefähr seine Größe hatte. Er zog die schwarze Designer-Jeans und das schwarze Seiden-T-Shirt an, schlüpfte in seine Schuhe und warf dann einen Blick in den Spiegel. Er konnte sich das Lächeln nicht verkneifen. Nie hätte er sich vorstellen können, einmal so teure Kleider zu tragen. Im Badezimmer brach er eine neue Zahnbürste aus der Verpackung, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und strich sich mit den Fingern das lange blonde Haar aus der Stirn. Als er seine Armbanduhr umlegte, stellte er erschrocken fest, dass es schon Sonntag und kurz nach Mitternacht war. Er hatte den ganzen Tag und die halbe Nacht verschlafen.
Auf dem Flur blieb er kurz stehen und schaute noch einmal in das Zimmer seiner Schwester. Der Lavendelgeruch war so stark, dass er ihm Tränen in die Augen trieb. Sophie lag regungslos auf dem Bett und atmete immer noch gleichmäßig. Johanna saß wie vorher auf der Bettkante, hielt Sophies Hand und murmelte leise vor sich hin, allerdings in einer Sprache, die er nicht verstand.
Josh betrachtete die beiden noch eine Weile. Schon als die Hexe von Endor Sophie in die Luftmagie eingeführt hatte, war er weggeschickt worden. Jetzt hatte man ihn wieder weggeschickt. Offenbar gab es in dieser neuen Welt der Magie keinen Platz für einen wie ihn – einen ohne besondere Kräfte.
Langsam stieg er die schmale Wendeltreppe zu Saint-Germains Arbeitszimmer hinauf. Was immer Josh auf dem Dachboden erwartet hatte, ein so großes, hell erleuchtetes und in weißem Holz und Chrom gehaltenes Zimmer war es nicht. Der Dachboden erstreckte sich über die gesamte Länge des Hauses und war zu einem weiten, offenen Raum umgestaltet worden mit einem Bogenfenster an dem Ende, das auf die Champs-Élysées ging. In dem riesigen Raum waren jede Menge elektronischer Geräte und Musikinstrumente – doch da war keine Spur von Saint-Germain.
Ein langer Tisch reichte fast von einem Ende des Studios zum anderen. Es standen etliche Computer darauf, Desktops und Laptops, Bildschirme in allen Formen und Größen, Synthesizer, ein Mischpult, Keyboards und elektronische Schlagzeuge. Am anderen Ende des Raums standen drei elektrische Gitarren auf ihren Ständern und verschiedene Keyboards gruppierten sich um einen riesigen LCD-Bildschirm.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Saint-Germain.
Es dauerte eine Sekunde, bis Josh wusste, woher die Stimme gekommen war. Sein Gastgeber lag flach auf dem Rücken unter dem Tisch und hielt ein Bündel USB-Kabel in der Hand.
»Gut«, antwortete Josh und war selbst überrascht, als er feststellte, dass es stimmte. Tatsächlich hatte er sich lange nicht mehr so gut gefühlt. »Ich kann mich nicht einmal erinnern, dass ich mich ins Bett gelegt habe …«
»Ihr wart beide erschöpft, körperlich wie geistig. Und wie ich gehört habe, rauben einem die Krafttore auch noch den letzten Rest Energie. Nicht dass ich je durch eines gegangen wäre«, fügte er hinzu. »Um ehrlich zu sein: Ich habe
Weitere Kostenlose Bücher