Nicholas Flamel Bd. 2 Der dunkle Magier
richtig erinnere, schon zwan zig Jahre vor deiner Geburt gekommen.«
Dee ging nicht auf die Bemerkung ein. »Wollten sie nicht Nidhogg mitbringen?«
Niccolò trommelte mit seinen manikürten Fingern an die Scheibe. »Haben sie auch.«
Während die Disir den schmalen, mit Kopfstein gepflasterten und von hohen Mauern gesäumten Weg hinuntergingen, verwandelten sie sich.
Die Veränderung vollzog sich, als sie einen Schattenfleck durchquerten. Gerade waren sie noch junge Frauen in weichen Lederjacken, Jeans und Stiefeln … und im nächsten Augenblick Walküren, Kriegerinnen. Schneeweiße Kettenhemden reichten bis an ihre Knie, an den Füßen trugen sie hohe Stiefel, die mit Metall verstärkt und deren Spitzen mit Stacheln gespickt waren, und an den Händen hatten sie schwere Panzerhandschuhe aus Leder und Metall. Abgerundete Helme schützten ihren Kopf. Nase und Augen waren bedeckt, doch der Mund blieb frei. An den weißen Ledergürteln hingen kurze Schwerter und Dolche. Jede Walküre trug ein Schwert mit breiter Klinge in einer Hand und hatte eine zweite Waffe auf den Rücken geschnallt: Eine hatte einen Speer, die andere eine Axt mit Doppelklinge und die dritte einen Streithammer.
Vor einem halb verrotteten grünen Tor in der Mauer blieben sie stehen. Eine der Walküren drehte sich zu dem Wagen um und zeigte mit einer behandschuhten Hand auf die Tür.
Machiavelli drückte auf einen Knopf und das Wagenfenster senkte sich ab. Er hob den Daumen und nickte. Auch wenn es so schäbig aussah, war es der Hintereingang zu Saint-Germains Haus.
Alle drei Disir griffen in den Lederbeutel, der an ihrem Gürtel hing. Jede holte eine Handvoll Gegenstände heraus, die aussahen wie flache Steine, und warf sie vor die Tür auf den Boden.
»Sie werfen die Runen«, erklärte Machiavelli. »Sie rufen Nidhogg … die Kreatur, die du befreit hast, eine Kreatur, die selbst die Älteren gefangen gehalten hatten.«
»Ich habe nicht gewusst, dass er im Weltenbaum gefangen war«, verteidigte sich Dee.
»Das überrascht mich. Ich dachte, du wüsstest alles.« Machiavelli drehte sich wieder zu Dee um und schaute ihn an. In dem düsteren Halbdunkel sah er, wie blass der Magier war und dass seine Stirn leicht glänzte vor Schweiß. Im Laufe der Jahrhunderte hatte Machiavelli gelernt, seine Gefühle unbedingt unter Kontrolle zu halten, und so lächelte er nicht. »Warum hast du den Weltenbaum zerstört?«, fragte er stattdessen.
»Er war Hekates Kraftquelle«, antwortete Dee leise, den Blick fest auf die Walküren gerichtet. Sie waren einen Schritt vor den Steintäfelchen, die sie auf den Boden geworfen hatten, zurückgetreten und unterhielten sich offenbar leise, wobei sie auf einzelne Tafeln zeigten.
»Er war so alt wie diese Welt. Und du hast ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, zerstört. Warum hast du das getan?«, fragte Machiavelli noch einmal.
»Ich habe getan, was nötig war.« Dees Ton war eisig. »Ich werde immer tun, was nötig ist, um die Älteren in diese Welt zurückzuholen.«
»Aber du hast die Konsequenzen nicht bedacht«, sagte Machiavelli leise. »Jede Tat hat Konsequenzen. Der Weltenbaum, den du in Hekates Königreich vernichtet hast, reichte bis in verschiedene andere Schattenreiche hinein. Die obersten Äste berührten das Schattenreich von Asgard, und die Wurzeln gingen bis tief nach Niflheim hinein, in die Welt der Dunkelheit.« Er sah, dass Dee zusammenzuckte. »Du hast nicht nur Nidhogg befreit, sondern mindestens drei Schattenreiche zerstört – vielleicht sogar mehr –, als du Excalibur in den Weltenbaum gerammt hast.«
»Woher weißt du von Excalibur?«
»Du hast dir eine Menge Feinde gemacht«, fuhr Machiavelli fort, ohne auf seine Frage einzugehen, »gefährliche Feinde. Ich habe gehört, dass Hel die Zerstörung ihres Königreichs überlebt hat. Soviel ich weiß, ist sie jetzt hinter dir her.«
»Sie macht mir keine Angst«, blaffte Dee, doch seine Stimme zitterte leicht.
»Das wäre aber angebracht«, murmelte Machiavelli. »Mir macht sie große Angst.«
»Mein Meister wird mich beschützen«, erwiderte Dee zuversichtlich.
»Dann muss es ein sehr mächtiger Älterer sein, wenn er dich vor Hel beschützen kann. Bis jetzt hat noch niemand überlebt, der sich ihr in den Weg gestellt hat.«
»Mein Meister ist allmächtig«, fauchte Dee.
»Ich kann es kaum erwarten zu erfahren, wer dieser mysteriöse Ältere ist.«
»Wenn das alles hier vorbei ist, stelle ich dich ihm vielleicht vor«, sagte Dee. Er
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