Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
zusammenhalten musste. Sie konzentrierte sich so sehr auf das Distanzsehen und darauf, die Verbindung mit Scathach zu halten, dass ihr Schutzschild einbrach und sie überall in der Luft schon die flatternden Bewegungen der Geister von Alcatraz sehen konnte. Wenn noch mehr der farbigen Schutzschichten ihrer Aura wegfielen, würden die Geister sich um sie scharen und sie ablenken, und die Verbindung mit der Kriegerprinzessin würde abbrechen. »Scathach, du musst mir sagen, wo Nicholas und die Zwillinge sind«, bat sie ruhig und blickte weiter fest auf das Wasser.
Das leuchtend rote Haar der Schattenhaften kam näher. »In London.«
»Das weiß ich. Ich habe vorhin mit ihm gesprochen.« Perenelle war das winzige Zögern der Kriegerin aufgefallen. »Aber …?«
»Na ja, wir glauben , dass sie immer noch in London sind.«
»Glauben!« Perenelle holte tief Luft und schluckte ihren Ärger hinunter. Ein weißer Lichtstrahl kräuselte die Wasseroberfläche und das Bild zitterte und zerfiel. Sie musste warten, bis es sich wieder zusammengesetzt hatte. »Was ist geschehen? Sag mir alles, was du weißt.«
»Die Nachrichtensender haben Berichte über seltsame Vorgänge in der Innenstadt gebracht, die letzte Nacht beobachtet wurden …«
»Letzte Nacht?«, fragte Perenelle irritiert. »Wie spät ist es? Welcher Tag?«
»Hier in Paris haben wir Dienstag. Kurz nach zwei Uhr morgens.«
Perenelle rechnete nach. Die Zeitverschiebung betrug neun Stunden. An der Westküste der USA war es noch Montag, ungefähr fünf Uhr am Nachmittag. »Welche seltsamen Vorgänge?«
»Sky News hat von einem Unwetter mit sintflutartigen Regenfällen über einem winzigen Gebiet in Nordlondon berichtet. Auf Euronews und France24 brachten sie etwas von einem gewaltigen Feuer auf einem Schrottplatz, ebenfalls in Nordlondon.«
»Das muss nichts bedeuten«, meinte Perenelle, obwohl sie instinktiv wusste, dass es irgendwie mit Nicholas und den Zwillingen zu tun hatte.
Auf der anderen Seite des Atlantiks schüttelte Scathach den Kopf. »Auf dem Gelände wurden Pfeilspitzen aus Feuerstein sowie Speerspitzen und Armbrustbolzen aus Bronze gefunden. Ein Reporter hat eine Handvoll Pfeilspitzen in die Kamera gehalten. Sie haben brandneu ausgesehen. Irgendein Londoner Historiker hat sie auf das Neolithikum datiert, die bronzenen Speerspitzen sollen seiner Einschätzung nach aus der Römer-zeit stammen und die Armbrustbolzen aus dem Mittelalter. Er behauptet, sie seien alle echt.«
»Es hat einen Kampf gegeben«, unterbrach Perenelle sie. »Wer war darin verwickelt?«
»Schwer zu sagen, aber du weißt ja, was sich in dieser Stadt und darum herum alles aufhält.«
Perenelle wusste es nur zu gut. Alle möglichen Kreaturen hatten sich auf den britischen Inseln angesiedelt, angezogen von den vielen Kraftlinien und Schattenreichen. Und die meisten waren auf der Seite der Dunklen Älteren.
»Hat man Leichen auf dem Schrottplatz gefunden?«, fragte sie grimmig. Wenn Nicholas oder den Zwillingen etwas zugestoßen war, würde sie die Stadt auf der Suche nach Dee auseinandernehmen. Der Jäger würde erfahren, wie es ist, gejagt zu werden. Und sie besaß über sechshundert Jahre Zauberwissen, auf das sie zurückgreifen konnte.
»Der Autofriedhof war leer. Etwas, das aussah wie ein mit Öl gefüllter Burggraben, war in Brand geraten, und alles war von einer dicken grauen Ascheschicht bedeckt.«
»Asche?« Perenelle runzelte die Stirn. »Kannst du dir vorstellen, woher die stammen könnte?«
»Es gibt etliche Kreaturen, die zu Asche werden, wenn sie sterben«, antwortete Scatty gedehnt.
»Einschließlich unsterbliche Menschen.«
»Ich glaube nicht, dass Nicholas umgebracht wurde«, sagte Scatty rasch.
»Ich auch nicht«, flüsterte Perenelle. Sie würde es wissen, wenn ihm etwas zugestoßen war, sie würde es spüren .
»Kannst du versuchen, mit ihm Kontakt aufzunehmen?«, fragte Scatty.
»Ich könnte es versuchen, aber wenn er auf der Flucht ist …« »Du hast auch mich gefunden.« Die Kriegerprinzessin lächelte. »Obwohl du mich ganz schön erschreckt hast.« Scathach
hatte vor einem Badezimmerspiegel gestanden und Heilsalbe auf ihre Wunden gestrichen, als das Glas beschlug, dann wieder klar wurde und Perenelle Flamels Bild darin erschien. Scatty hätte sich vor Schreck die Salbe fast ins Auge gerieben.
Auf die Idee des Distanzsehens hatte Perenelle der unsterbliche Mensch mit der Anasazi-Schale gebracht, den sie dabei erwischt hatte, wie er ihr
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