Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
anderer Kopf tauchte im Wasser auf, ein schmales, jungenhaftes Gesicht, das von großen grauen Augen dominiert wurde. »Madame Flamel.«
»Johanna!« Perenelle strahlte. Wenn sie in Scatty ihre Nichte sah, war Johanna die Tochter, die sie nie hatte. »Du hast Francis also endlich geheiratet?«
»Na ja, wir sind jahrhundertelang miteinander gegangen, es wurde langsam Zeit.«
»Da hast du recht. Ich freue mich sehr, dich zu sehen, Johanna. Wenn nur die Umstände andere wären.«
»Oh ja«, stimmte Johanna von Orléans zu. »Das ist wirklich eine schlimme Zeit. Besonders für Nicholas und die Zwillinge.«
»Sind sie die legendären Zwillinge?« Gespannt wartete Perenelle auf Johannas Antwort.
»Ich bin davon überzeugt«, erwiderte die, ohne zu zögern. »Die Aura des Mädchens ist noch stärker und reiner als meine.«
»Seht ihr eine Möglichkeit, nach London zu gehen?«, fragte Perenelle.
Das winzige Gesicht im Wasser verschwamm, als die Frau am anderen Ende der Welt den Kopf schüttelte. »Ausgeschlossen. Machiavelli kontrolliert Paris. Er hat die Stadt praktisch abgeriegelt. Aus Gründen der nationalen Sicherheit, behauptet er. Die Landesgrenzen wurden geschlossen. Sämtliche Flüge, Fähren und Züge werden streng kontrolliert, und ich bin sicher, dass sie Personenbeschreibungen von uns haben – von Scatty garantiert. Überall ist Polizei. Sie halten die Leute auf der Straße an und wollen die Ausweise sehen, und ab einundzwanzig Uhr herrscht Ausgangssperre. Die Polizei hat schlechte Videos aus Überwachungskameras veröffentlicht, auf denen Nicholas, die Zwillinge, Scatty und ich vor Notre Dame zu sehen sind.«
Perenelle runzelte die Stirn. »Sollte ich wissen, was ihr auf dem Platz vor der Kathedrale getrieben habt?«
»Gegen die Wasserspeier gekämpft«, antwortete Scatty leichthin.
»Hätte ich nur nicht gefragt. Ich mache mir Sorgen um Nicholas und die Zwillinge. So wie ich Nicholas’ Orientierungssinn kenne, haben sie sich wahrscheinlich verlaufen. Und Dees Spione sind überall«, fügte Perenelle niedergeschlagen hinzu. »Sie waren bestimmt noch keine zwei Minuten im Land, da hat er es schon gewusst.«
»Mach dir mal keine Sorgen. Francis hat dafür gesorgt, dass Palamedes sie abholt. Er beschützt sie. Und er ist gut«, versicherte Johanna ihr.
»Aber nicht so gut wie die Schattenhafte.«
»Na, so gut ist niemand«, sagte Johanna. »Aber wo bist eigentlich du im Moment?«
»Ich sitze hier auf Alcatraz fest. Und es gibt Probleme«, gab Perenelle zu.
Scattys Gesicht schob sich neben das ihrer Freundin. »Was für Probleme?«
»Die Gefängniszellen sind voller Monster und im Meer wimmelt es von Nereiden. Nereus bewacht das Wasser und eine Sphinx kontrolliert die Korridore. Das sind so meine Probleme.«
Johannas Lächeln wurde zu einem Strahlen. »Nun, wenn du Probleme hast, müssen wir dir helfen!«
»Das ist unmöglich, fürchte ich.«
»Aber Perenelle, du selbst hast mir schon vor langer Zeit beigebracht, dass das Wörtchen unmöglich keine Bedeutung hat.«
Perenelle lächelte. »Ja, das habe ich gesagt. Scatty, kennst du jemanden in San Francisco, der mir helfen könnte? Ich muss weg von der Insel. Ich muss zu Nicholas.«
»Keinen, dem ich wirklich traue. Vielleicht einer meiner Schüler …«
»Nein«, unterbrach Perenelle sie. »Menschen möchte ich keine in Gefahr bringen. Ich habe an Erstgewesene gedacht, die auf unserer Seite sind, oder Ältere der Nächsten Generation.«
Scatty überlegte eine Weile, dann schüttelte sie den Kopf. »Darunter ist keiner, dem ich traue«, wiederholte sie. Dann drehte sie sich um und lauschte der Unterhaltung, die hinter ihr geführt wurde, und als sie wieder in den Spiegel sah, strahlte sie. »Wir haben einen Plan. Das heißt, Francis hat einen Plan. Hältst du es noch eine kleine Weile aus? Wir sind unterwegs zu dir.«
»Wir? Wer ist wir?«, fragte Perenelle.
»Johanna und ich. Wir kommen nach Alcatraz.«
»Wie wollt ihr hierherkommen, wenn ihr nicht mal nach London reisen könnt?«, fragte Perenelle, doch dann begann das Wasser sich zu kräuseln, und plötzlich umschwirrten sie Myriaden von Alcatraz-Geistern und verlangten lautstark Aufmerksamkeit. Die Verbindung war unterbrochen.
K APITEL A CHTUNDVIERZIG
D r. John Dee stand vor einem der riesigen Walzglasfenster in einem der oberen Stockwerke des Canary Wharf Tower, in dem die Londoner Niederlassung der Enoch Enterprises ihren Sitz hatte. Er nippte an einer Tasse mit dampfendem
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