Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
sterben. Du hast auch einmal geliebt. Du verstehst das.«
Palamedes seufzte und nickte. »Lass mich den Wagen in die Scheune fahren und dann die Zwillinge und Gilgamesch wecken. Er hat sich bereit erklärt, sie in der Magie des Wassers auszubilden. Wenn er sich noch an sein Versprechen erinnert und es tut, fahren wir anschließend sofort nach Stonehenge. Mit dem Navi kann ich bestimmt eine Route ausknobeln.« Jetzt war er es, der Flamel am Arm fasste. »Aber denk daran, Nicholas, sobald er damit begonnen hat, wird die Aura der Zwillinge auflodern. Und dann wissen alle – und alles –, wo sie sind.«
K APITEL E INUNDFÜNFZIG
U m 10:20 Uhr, fünf Minuten später als planmäßig, startete die Air France Boeing 747 vom Charles de Gaulle Flughafen mit Ziel San Francisco.
Niccolò Machiavelli machte es sich auf seinem Sitz bequem und stellte dann seine Uhr neun Stunden zurück auf 1:20 Uhr pazifische Zeit. Er senkte die Rückenlehne ab, verschränkte die Finger auf dem Bauch, schloss die Augen und genoss den seltenen Luxus, nicht erreichbar zu sein. In den nächsten elf Stunden und fünfzehn Minuten konnte niemand ihn anrufen oder ihm eine Mail oder ein Fax schicken. Egal welche Krise auftrat, es würden sich andere darum kümmern müssen.
Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Das war wie ein Miniurlaub, und es war lange her – über zwei Jahrhunderte –, seit er sich das letzte Mal eine Erholungspause gegönnt hatte. Und dann hatte er den Urlaub in Ägypten im Jahr 1798 auch noch abbrechen müssen, als Napoleon einmarschiert war. Machiavellis Lächeln schwand. Er war federführend gewesen bei der Ausarbeitung von Napoleons Plan für eine »Föderation freier Völker« und den Code Napoléon, und wenn der Korse nur weiter auf ihn gehört hätte, wären ganz Europa, Nordafrika und der Nahe Osten unter Frankreichs Herrschaft gefallen. Machiavelli hatte sogar einen Plan für eine Invasion Amerikas auf dem Seeweg und über Kanada in der Schublade gehabt.
»Möchten Sie etwas trinken, Monsieur?«
Machiavelli öffnete die Augen. Eine gelangweilt aussehende Stewardess lächelte auf ihn herunter. Er schüttelte den Kopf. »Nein danke. Und bitte stören Sie mich während der Dauer des Fluges nicht mehr.«
»Sollen wir Sie zum Mittag- oder Abendessen wecken?«
»Danke, nein, ich muss mich an eine strenge Diät halten«, antwortete er.
»Wenn Sie uns vorher informiert hätten, hätten wir eine geeignete Mahlzeit für Sie organisieren können …«
Machiavelli hob ablehnend die Hand mit den schlanken Fingern. »Ich habe alles, was ich brauche. Danke.« Er beendete die Unterhaltung, indem er den Blick abwandte.
»Ich gebe meinen Kolleginnen Bescheid.« Die Stewardess ging weiter zu den anderen drei Passagieren der Business Class. Das intensive Aroma von frisch aufgebrühtem Kaffee und frischem Brot erfüllte die Luft. Der Italiener schloss wieder die Augen und versuchte, sich zu erinnern, wie richtiges Essen – Essen aus frischen Zutaten – schmeckte. Zu den Nebenwirkungen der Unsterblichkeit gehörte, dass er kaum noch Appetit hatte. Unsterbliche Menschen mussten zwar immer noch essen, aber nur, um den Körper mit Energie zu versorgen. Das meiste Essen schmeckte nach nichts, außer es war extrem stark gewürzt oder eklig süß. Er fragte sich, ob Flamel, der sich selbst unsterblich gemacht und die Gabe nicht verliehen bekommen hatte, ebenfalls unter diesen Nebenwirkungen litt.
Und der Gedanke an Flamel führte ihn zu Perenelle.
Dees Gebieter hatte sich glasklar ausgedrückt: »Versuche nicht, Perenelle zu ergreifen oder einzusperren. Lass dich auf keine Diskussion ein, verhandle nicht mit ihr und versuche nicht, vernünftig mit ihr zu reden. Töte sie, sobald du sie siehst. Die Zauberin ist unendlich viel gefährlicher als der Alchemyst.«
Machiavelli hatte hart an sich gearbeitet und es zur Meisterschaft in Rhetorik und Körpersprache gebracht. Er merkte es, wenn Menschen logen. Er las es ihnen an den Augen ab, an den Händen, die sich zur Faust schlossen, an zuckenden Fingern und wippenden Füßen. Und selbst wenn er seine Gesprächsparner nicht sehen konnte, hatten mehrere Lebensalter, in denen er Kaisern, Königen, Fürsten, Politikern und Dieben zugehört hatte, ihn gelehrt, dass die Wahrheit oft nicht in dem lag, was die Leute sagten, sondern in dem, was sie nicht sagten.
Dees Meister hatten ihn gewarnt, dass die Zauberin unendlich viel gefährlicher sei als der Alchemyst. In welcher Hinsicht, hatten
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