Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
Seite und runzelte die Stirn.
»Was ist?«, fragte Josh sofort.
»Nichts. Ich hab mir nur eingebildet …«
»Was?«
»Ich dachte, ich hätte ein paar Worte von dem, was diese Leute gesagt haben, verstanden.«
Ihr Bruder drehte sich um und folgte ihrem Blick. Zwei Frauen in Abayas, den langen, fließenden Gewändern der arabischen Länder, Gesicht und Haar unter Burkas verborgen, unterhielten sich angeregt.
»Sie sind Schwestern … Sie gehen zu einem Arzt gleich um die Ecke in der Harley Street …«, sagte Sophie staunend.
Josh strich sich das dunkle Haar hinter die Ohren, um besser hören zu können. Wenn er sich sehr konzentrierte, gelang es ihm, die Stimmen der beiden Frauen aus dem allgemeinen Geräuschpegel zu isolieren. »Ich verstehe kein Wort von dem, was sie sagen, Sophie. Ich glaube, sie sprechen arabisch.«
Zwei elegant gekleidete Geschäftsleute gingen vorbei. Sie steuerten die U-Bahn-Station Regent’s Park an und telefonierten beide mit dem Handy.
»Der links spricht mit seiner Frau in Stockholm«, fuhr Sophie leise fort. »Es tut ihm leid, dass er die Geburtstagsparty seines Sohnes verpasst hat. Der rechts redet mit seiner Firmenzentrale, ebenfalls in Schweden. Er möchte, dass sie ihm ein paar Arbeitsblätter mailen.«
Josh drehte den Kopf in ihre Richtung, blendete den Verkehrslärm und die Millionen von anderen Geräuschen der Stadt aus und stellte plötzlich fest, dass er, wenn er sich ganz auf die beiden Geschäftsleute konzentrierte, einzelne Worte erkennen konnte. Sein Gehör war so gut, dass er sogar die leisen Stimmen ihrer Gesprächspartner wahrnahm. Keiner der Männer sprach englisch. »Wie kommt es, dass du sie verstehst?«, fragte er.
»Es ist das Wissen der Hexe von Endor«, antwortete Flamel. Er war gerade aus dem Laden gekommen, als Josh seine Frage gestellt hatte. Jetzt zog er zwei identische, billige Sonnenbrillen aus einer Papiertüte und gab sie ihnen. »Keine Designerbrillen, tut mir leid.«
Sophie setzte die Sonnenbrille gleich auf. Es war eine große Erleichterung, und sie sah ihrem Bruder an, dass es ihm genauso ging.
Flamel gab noch jedem der Zwillinge eine Flasche Mineralwasser, dann gingen sie mit schnellen Schritten nebeneinander die Straße zur Kirche St. Marylebone hinunter. »Als die Hexe dich in die Luftbinden eingewickelt hat, hat sie dir ihr gesamtes Wissen übertragen. Es war, das gebe ich zu, zu viel für dich. Aber ich hatte keine Ahnung, dass sie es tun würde«, fügte er rasch hinzu, als er sah, wie Joshs Miene sich verfinsterte. »Es kam vollkommen unerwartet und war gänzlich untypisch für sie. Vor vielen Generationen haben Priesterinnen ihr ganzes Leben lang bei der Hexe studiert und wurden nur mit einem winzigen Bruchteil ihres Wissens belohnt.«
»Warum hat sie dann mir alles gegeben?«, fragte Sophie verwirrt.
»Es ist mir ein Rätsel«, gab der Alchemyst zu. Als er eine Lücke im Verkehr entdeckte, dirigierte er die Zwillinge rasch über die Straße. Sie konnten bereits die elegante Fassade der vor ihnen liegenden Kirche St. Marylebone erkennen. »Ich weiß nur, dass Johanna dir geholfen hat, das Wissen der Hexe zu sichten.«
Sophie nickte. In Paris hatte Johanna von Orléans ihr, während sie schlief, Techniken beigebracht, wie sie mit dem Durcheinander an geheimnisumwobenen und obskuren Informationen, das sie im Kopf hatte, umgehen konnte.
»Ich glaube, dass jetzt Folgendes passiert: Die Erinnerungen und das Wissen der Hexe von Endor werden nach und nach in deine Erinnerungen aufgenommen. Du weißt dann nicht einfach nur das, was die Hexe weiß, sondern du weißt auch, woher sie es weiß. Im Grunde werden ihre Erinnerungen zu deinen.«
Sophie schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht.«
Sie hatten die Kirche inzwischen erreicht. Flamel stellte sich auf die zweite Stufe der Kirchentreppe, schaute die Straße hinauf und hinunter und checkte rasch die Passanten. Dann reckte er sich und sah hinüber zum Regent’s Park, bevor er sich wieder den Zwillingen zuwandte. »Es ist wie der Unterschied, ob man bei einem Spiel zuschaut oder selbst mitspielt«, fuhr er schließlich fort. »Als du Saint-Germain begegnet bist, hast du sofort gewusst, was die Hexe über ihn weiß, richtig?«
Sophie nickte. Ganz plötzlich war ihr klar gewesen, dass die Hexe von Endor den Grafen von Saint-Germain nicht mochte – und ihm auch nicht vertraute.
»Dann denk doch jetzt noch einmal an Saint-Germain«, schlug der Alchemyst vor.
Sophie sah ihren
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