Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
jemanden übertragen hat, oder?«
Sophie fasste den Alchemysten am Arm. »Nicholas, was sollen wir tun?«
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete er mit einem erschöpften Seufzer. Und in diesem Moment sah er uralt aus mit den tief eingegrabenen Falten auf der Stirn und um die Augen herum, den Furchen entlang der Nasenflügel und zwischen den Augenbrauen.
»Wer kann es denn dann wissen?«, fauchte Sophie, und in ihrer Stimme schwang Angst mit.
»Perenelle«, sagte er und nickte bestätigend. »Meine Perenelle wird wissen, was zu tun ist. Wir müssen dich zu ihr bringen. Sie kann helfen. In der Zwischenzeit musst du ganz bewusst Sophie sein. Du musst dich auf deine eigene Identität konzentrieren.«
»Wie denn?«
»Denk an deine Vergangenheit, deine Eltern, die Schulen, in denen du warst, an Menschen, die du getroffen hast, Freunde, Feinde, Orte, an denen du gewesen bist.« Er wandte sich an Josh. »Du musst mithelfen. Stell deiner Schwester Fragen über ihre Vergangenheit, über alles, was ihr zusammen gemacht habt, wo ihr wart. Und du, Sophie«, er wandte sich ihr wieder zu, »konzentrierst dich jedes Mal, wenn du anfängst, in den Erinnerungen der Hexe von Endor zu leben, ganz bewusst auf etwas anderes, auf eine eigene Erinnerung. Du musst verhindern, dass die Erinnerungen der Hexe deine überlagern, bis wir eine Möglichkeit gefunden haben, die Sache in den Griff zu bekommen.«
Plötzlich hielt ein schwarzes Taxi am Straßenrand und die Scheibe auf der Beifahrerseite senkte sich ab. »Steigt ein«, befahl eine Stimme aus dem Wageninneren.
Niemand rührte sich.
»Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Steigt ein.« In der tiefen, vollen Stimme schwang ein leichter nordafrikanischer Akzent mit.
»Wir haben kein Taxi gerufen«, sagte Flamel und blickte unruhig die Straße hinauf und hinunter. Saint-Germain hatte zwar gesagt, dass er ihnen jemanden schicken würde, aber der Alchemyst hatte nie an etwas so Gewöhnliches wie ein Taxi gedacht. War das eine Falle? Hatte Dee sie schon aufgespürt? Er blickte über die Schulter zur Kirche. Die Tür stand offen. Sie konnten die Treppe hinauflaufen und Zuflucht in der Kirche suchen, aber wenn sie einmal darin waren, saßen sie in der Falle.
»Dieser Wagen wurde speziell für Sie angefordert, Mr Flamel.« Es entstand eine Pause, dann fügte die Stimme hinzu: »Für den Autor eines der langweiligsten Bücher, die ich je gelesen habe: Eine Zusammenfassung der Philosophie .«
»Langweilig?« Flamel riss die hintere Tür auf und schob die Zwillinge ins Halbdunkel. »Es wurde jahrhundertelang als geniales Werk gepriesen!« Nachdem er selbst auch eingestiegen war, zog er die Tür zu. »Wahrscheinlich hat Francis dir aufgetragen, das zu sagen.«
»Schnallt euch besser an«, befahl der Fahrer. »Wir werden bald jede Menge Gesellschaft haben, allesamt unfreundlich und unangenehm.«
K APITEL S ECHS
D as breite Kreuz des Fahrers füllte den Sitz aus. Er drehte sich um, sah sie durch die Trennscheibe an, und den Zwillingen war sofort klar, dass es kein Speck war, der ihn so dick erscheinen ließ, sondern Muskelmasse. Ein ärmelloses schwarzweiß gestreiftes T-Shirt spannte sich über seinen gewaltigen Brustkorb, und er war so groß, dass sein glatt rasierter Kopf an die Wagendecke anstieß. Seine Haut war tief dunkelbraun, genau wie seine Augen, und seine Zähne waren so weiß, dass sie fast schon unnatürlich wirkten. Auf jeder Wange hatte er knapp unter dem Auge drei kleine, waagerechte Narben.
»Ihr seid noch kaum im Land und habt es schon geschafft, in ein Wespennest zu stechen«, sagte er mit seiner tiefen Stimme. »Auf dem Weg hierher habe ich Dinge gesehen, die schon seit Generationen nicht mehr über diese Erde gegangen sind.« Er grinste. »Ich bin übrigens Palamedes. Aber kommt nicht auf die Idee, mich Pally zu nennen.«
»Palamedes?«, fragte Flamel überrascht. Er beugte sich vor. »Palamedes? Der sarazenische Ritter?«
»Genau der«, erwiderte der Fahrer. Er umklammerte das Lenkrad und preschte, ohne zu blinken, auf die Fahrbahn. Autos hupten hinter ihm und Reifen quietschten. Er hielt sein Handy hoch. »Francis hat mir nur das Allernotwendigste gesagt. Normalerweise lasse ich mich nicht in Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Lagern der Erstgewesenen hineinziehen – man lebt weniger gefährlich –, aber als er mir sagte, dass die legendären Zwillinge im Spiel seien« – er blickte sie im Rückspiegel an –, »wusste ich, dass ich keine andere Wahl
Weitere Kostenlose Bücher