Nicholas Flamel Bd. 4 Der unheimliche Geisterrufer
zittrigen Atemzug. »Entschuldigung. « Er klappte den Codex zu und strich mit seiner in Seide gewickelten Hand über den metallenen Einband. »Wir lassen die Monster eine Woche lang auf der Erde wüten. Wir warten, bis die Land-, See- und Luftstreitkräfte sich im Kampf gegen die Kreaturen aufgerieben haben, und dann, wenn alles verloren scheint, werden du und ich als die Retter der Menschheit auf den Plan treten. Wir ziehen die Ungeheuer ab und übernehmen die Kontrolle. Wir werden die unsterblichen Herrscher dieser Welt. Du hast keine Gebieter und meine sind dann entweder tot oder sitzen in einem Schattenreich fest, von dem aus es keinen Zugang zu dieser Welt gibt, sodass auch mir nichts passieren kann. Mit dem Buch kann ich diese Welt nach unseren Wünschen erneuern und neu gestalten.« Er lächelte. »Nur unsere Fantasie setzt uns Grenzen.«
»Ich habe eine ausgesprochen lebhafte Fantasie«, sagte Virginia. »Aber hast du nicht eine winzige Kleinigkeit vergessen?«
Dee blickte sie überrascht an. »Was denn?«
»Es hängt doch alles davon ab, ob Coatlicue tut, was du von ihr verlangst.«
»Das wird sie«, erwiderte Dee zuversichtlich. »Der einzig wirklich gefährliche Moment ist der, wenn sie erwacht. Sie wird ausgehungert sein. Dann muss ich unbedingt etwas zu essen für sie bereithalten.«
»Coatlicue ist keine Vegetarierin«, erinnerte Virginia ihn.
Das Lächeln des Magiers wurde grausam. »Nein, ich weiß. Und ich habe ein besonders leckeres Festmahl für sie in petto.«
KAPITEL SIEBENUNDVIERZIG
J osh lehnte an der Tür zum Arbeitszimmer und blickte sich in dem Raum um. Zwei Wände waren voller Bücher, die dritte voller DVDs und die vierte nahm der riesige Bildschirm eines Fernsehers ein.
Der rothaarige Ältere lümmelte in einem Relax-Sessel und zappte mit hoher Geschwindigkeit durch die Kanäle. Als er zu CNN kam, hielt er kurz inne, verfolgte die Nachrichten einen Moment und klickte weiter zum nächsten Sender.
Josh klopfte an den Türrahmen. »Du wolltest mich sehen«, sagte er leise. Er war selbst überrascht, wie ruhig er war. Keine Spur von Nervosität, aber Vorfreude empfand er auch kaum.
»Komm rein«, sagte Prometheus, ohne sich umzudrehen. Er wies mit der Fernbedienung auf einen zweiten Relax-Sessel. »Setz dich einen Augenblick und lass uns reden.«
Josh setzte sich und drückte auf den Knopf, der das Fußteil des Sessels in die Höhe fuhr. »Mein Dad hat genauso einen. Er hat das Modell mit der Massage- und Wärmefunktion.«
»Das hatte ich auch, aber jedes Mal, wenn ich die Massagefunktion eingeschaltet habe, habe ich gedacht, es sei ein Erdbeben. Da habe ich ihn zurückgeschickt.«
Sie saßen schweigend da, während Prometheus weiter durch die Kanäle surfte. Nur bei Nachrichten und Schwarzweißfilmen hielt er kurz inne. »Hunderte von Sendern und nichts, das sich anzuschauen lohnt«, nörgelte er.
Josh nahm die Gelegenheit wahr, den Älteren eingehend zu betrachten. Das einzige Licht im Arbeitszimmer kam von dem flackernden Bildschirm, sodass es aussah, als sei sein Gesicht ständig in Bewegung. Aus der Nähe sah Josh, dass Prometheus’ Wangen und Kinn von winzigen Narben übersät waren, die sein Bart allerdings teilweise verdeckte. Auch auf der Stirn waren Narben.
»Das sind kleine Andenken an meine Zeit im Gefängnis.« Prometheus’ dröhnende Stimme ließ Josh zusammenzucken.
»Tut mir leid«, entschuldigte Josh sich, »ich wollte dich nicht anstarren.«
Prometheus rieb sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Ich denke jetzt kaum noch an sie. Ich könnte mich heilen und sie verschwinden lassen, aber ich möchte sie als Erinnerung behalten.«
»Als Erinnerung woran?«, fragte Josh.
»Daran, dass es Dinge gibt, für die es sich zu kämpfen lohnt. Und dass alles seinen Preis hat.«
»Warum warst du im Gefängnis?«, erkundigte sich Josh und hängte rasch noch ein »Wenn ich fragen darf?« an.
Der Hüne machte eine wegwerfende Handbewegung. »Eine uralte Geschichte. Zu lang und zu kompliziert, um sie jetzt zu erzählen.« Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Du solltest deine Schwester bei Gelegenheit danach fragen. Sie kann es dir sagen.«
»Weil die Hexe es wusste?«
»Wie lange hat sie meine Schwester gekannt?«, fragte Prometheus und sah den Jungen zum ersten Mal an.
»Du wirst es nicht glauben, aber wir sind ihr nur ein einziges Mal begegnet, ganz kurz, letzten Freitag …« Josh verstummte. Allein der Versuch, sich den Anfang dieser Woche, als
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