Nicholas Flamel Bd. 5 Der schwarze Hexenmeister
vorhat.«
»Sophie, eines musst du mir glauben: Ich wünschte, all dies wäre dir und Josh nicht zugestoßen«, sagte Perenelle leise. »Glaubst du mir das?«
Sophie wusste nicht mehr, was sie glauben sollte. Sie wollte der Zauberin gern vertrauen und dennoch … Irgendetwas hielt sie davon ab. Die Frau hatte sie angelogen, andererseits hatten die Flamels jahrhundertelang in dieser Lüge gelebt. Sophie vermutete, dass sie nur logen, um sich selbst und die Menschen in ihrem Umfeld zu schützen. Trotzdem, Josh hatte sich von Anfang an geweigert, den Flamels zu vertrauen. Vielleicht hatte er recht gehabt. Vielleicht war die Entscheidung, mit Dee zu gehen, die richtige gewesen. Der Gedanke, der ihr plötzlich kam, jagte ihr einen Schauer über den Rücken: Was, wenn sie in diesem jahrhundertealten Krieg auf der falschen Seite stand?
Die Wahrheit, die nackte, bittere Wahrheit war, dass sie es ganz einfach nicht wusste. Richtig und falsch, gut und schlecht waren keine eindeutigen Begriffe mehr. Sie konnte ja nicht einmal mehr Freunde von Feinden unterscheiden.
Tsagaglalal und Perenelle nahmen gleichzeitig ihre Hand von Sophies Händen und das Gefühl kehrte in ihren Körper zurück. Ihre silberne Aura flammte auf und legte sich wie eine knisternde Schutzhülle um sie. Sophie schien im Licht des frühen Nachmittags zu dampfen. Sie holte tief Luft, machte jedoch keine Anstalten, vom Tisch aufzustehen.
»Sophie, was willst du tun, um Josh zu helfen, ihn zu retten, ihn zurückzuholen?«, fragte Tsagaglalal.
»Alles. Egal was.«
Perenelle beugte sich vor und legte beide Unterarme auf den Tisch. Ihre Hände waren fest verschränkt, die Knöchel weiß von der Anspannung. »Und was, Sophie, meinst du, werde ich tun, um meinem Mann zu helfen?«
»Alles«, wiederholte Sophie. »Egal was.«
»Wir werden alles tun, egal was es ist, um denen zu helfen, die wir lieben. Das ist es, was die Humani von der nächsten Generation oder den Älteren oder von denen, die vor ihnen da waren, unterscheidet. Das ist es, was uns zu Menschen macht. Das ist es, was die Menschen vorankommen lässt, der Grund, weshalb sie nicht untergehen werden.«
»Doch diese Art von Liebe erfordert Opfer«, warf Tsagaglalal gedehnt ein. »Zuweilen ganz außergewöhnliche Opfer …« Die grauen Augen der alten Frau schwammen plötzlich in Tränen.
Und vor Sophies geistigem Auge flackert kurz das Bild einer Frau auf – wesentlich jünger, aber mit denselben hohen Wangenknochen und grauen Augen wie Tsagaglalal. Die Frau wendet sich von einer großen goldenen Statue ab und geht davon, hält noch einmal inne und blickt zurück. In diesem Moment fällt Sophie auf, dass die glänzenden grauen Augen der Statue lebendig sind und der Frau folgen. Dann dreht Tsagaglalal sich wieder um und läuft eine endlos lange gläserne Treppe hinunter. Mit beiden Händen drückt sie ein Buch an sich: den Codex. Und ihre Tränen tropfen auf den kupfernen Einband.
»Vor über zehntausend Jahren«, fuhr Perenelle fort, »hat Abraham der Weise all dies vorhergesehen, und schon damals begann er mit der Umsetzung eines Plans zur Rettung der Welt. Du und dein Zwillingsbruder wurdet lange vor eurer Geburt als Retter auserwählt. Von euch war in einer Prophezeiung die Rede, die lange vor dem Untergang von Danu Talis und der Sintflut gemacht wurde.«
»›Die zwei, die eins sind, und das Eine, das alles ist. Einer, um die Welt zu retten, und einer, um sie zu zerstören‹«, zitierte Tsagaglalal. »Das ist euer Schicksal. Und niemand kann seinem Schicksal entrinnen.«
»Das sagt mein Vater auch immer.«
»Dein Vater hat recht.«
»Soll das heißen, dass mein Bruder und ich nur Marionetten sind?«, begann Sophie. Bevor sie weiterredete, musste sie einen großen Schluck von dem kalten Tee nehmen, der vor ihr stand, da ihr Mund so trocken war. »Dass wir keinen freien Willen haben?«
»Natürlich habt ihr den«, antwortete Perenelle. »Josh hat eine Entscheidung getroffen und hinter allen Entscheidungen steht entweder Hass oder Liebe. Er beschloss, mit Dee zu gehen – nicht weil er ihn so mag, sondern weil er dich gehasst hat, als er sah, wie du die Archonin angegriffen hast. Er hat Coatlicue als wunderschöne junge Frau gesehen und nicht als die hässliche Kreatur, die sie in Wirklichkeit ist. Und du … du musst dich jetzt entscheiden, was du tun willst.«
Perenelles Worte schmerzten. Josh hasst dich . Doch Sophie wusste, dass es die Wahrheit war. Sie hatte es in seinen Augen
Weitere Kostenlose Bücher