Nicholas' Geheimnis (German Edition)
vor, Melanie«, sagte Liz leise. »Meinst du, ich wüsste nicht, wie dir zu Mute ist? So, wie es bisher war … das ist kein Leben für dich. Du wirst es auf die Dauer nicht ertragen.«
Melanie seufzte ergeben und hob ihr Glas an die Lippen. »Ach, Liz …«
»Komm, komm! Gönn mir doch meinen Spaß.« Liz klopfte Melanie sanft auf die Wange. »Du hast ja selbst gesagt, alles sei Schicksal und Vorbestimmung.«
»Liz …« Melanie zögerte einen Moment. »Wer hat eigentlich Zutritt zu dem Strand, an dem wir gestern gebadet haben?« fragte sie dann leichthin.
»Wieso?« Liz strich sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr. »Nur wir und die Leute aus der Gregoras-Villa. Ich werde Alex fragen, aber ich bin sicher, der Strand gehört zu unserem und dem Nachbarbesitz. Die Bucht ist zu beiden Seiten durch das Kliff begrenzt, und man erreicht sie nur über den Steilpfad, der zwischen unseren beiden Grundstücken hinunterführt.«
»Ach ja«, fiel Liz dann noch ein. »Da ist noch das Cottage, es gehört Nick. Er vermietet es gelegentlich. Seit einiger Zeit wohnt ein Amerikaner in dem Haus … Stevenson, Andrew Stevenson. Ein Maler, so viel ich weiß. Ich habe ihn noch nicht kennen gelernt.« Liz schaute Melanie verdutzt an. »Wieso? Hast du vor, oben ohne zu baden?«
»Ach was, reine Neugier.« Melanie rief sich insgeheim zur Ordnung. Wenn ich den Vorfall vergessen will, muss ich ihn endgültig aus meinem Kopf verbannen, dachte sie. »Aber diese Villa würde ich mir gern aus der Nähe anschauen.« Sie sah erschauernd zu der grauen Villa hinüber. »Ich würde mir verloren vorkommen in diesem unheimlichen Gemäuer.«
»Du brauchst nur deinen Charme bei Nick spielen zu lassen, dann lädt er dich ein«, schlug Liz vor.
»Vielleicht tue ich das.« Melanie betrachtete die Villa nachdenklich. War Nick Gregoras vielleicht der Mann, dessen Schritte sie gehört hatte, als sie in den Büschen gefangen gehalten wurde? »Ja, das werde ich tun.«
Die Balkontür stand weit offen, der betäubende Nachtduft weißer Rosen erfüllte die Luft. Im Haus war alles still, bis auf eine Uhr, die soeben Mitternacht geschlagen hatte.
Melanie saß an dem zierlichen Rosenholzschreibtisch und schrieb einen Brief. Draußen am Kliff schrie ein Käuzchen zweimal. Melanie hob den Kopf und lauschte auf einen dritten Ruf, aber jetzt war alles wieder ganz still. Sie beugte sich über ihren Brief.
Wie sollte sie ihrem Vater begreiflich machen, was sie empfand? War es überhaupt möglich, die Zeitlosigkeit des Meeres, die erhabene, fast beängstigende Schönheit der Berge in Worte zu fassen? Sie versuchte es, so gut sie konnte, und wusste, ihr Vater würde sie verstehen. Und außerdem wird er sich über Liz’ Versuche amüsieren, mich hier in Griechenland unter die Haube zu bringen, dachte sie lächelnd.
Melanie stand auf, reckte sich, drehte sich um – und stieß gegen die dunkle Gestalt, die sich im selben Moment vor ihr aufrichtete. Die Hand, die sich über ihren Mund legte, drückte nicht so rau zu wie beim letzten Mal, und die dunklen Augen lächelten. Melanies Herz setzte einen Schlag aus.
» Kalespera , Aphrodite. Versprechen Sie, nicht zu schreien, und ich lasse Sie frei.«
Im ersten Moment wollte sich Melanie losreißen, aber der Mann hielt sie mühelos fest und hob nur fragend die Augenbrauen. Offenbar konnte er beurteilen, auf wessen Wort man sich verlassen konnte und auf wessen nicht.
Melanie wand sich noch einen Augenblick lang, gab sich dann aber geschlagen und nickte widerwillig. Sofort ließ der Fremde sie los. Sie holte tief Luft, um zu schreien, tat es aber nicht. Ein Versprechen war ein Versprechen, auch wenn man es dem Teufel gegeben hatte.
»Wie sind Sie hier heraufgekommen?«
»Die Weinranken unter Ihrem Balkon sind ziemlich stabil.«
Ungläubig und bewundernd zugleich starrte Melanie den Fremden an. Die Außenwand war glatt und die Höhe bis zu ihrem Balkon beträchtlich. »Sind Sie verrückt geworden?«
»Schon möglich«, lächelte der Mann unbekümmert. Die Kletterei schien ihn nicht angestrengt zu haben. Sein Haar war zwar zerzaust, aber so hatte es beim letzten Mal auch ausgesehen. Der Schatten eines Bartes zog sich über seine Wangen, und aus seinen Augen leuchtete die Abenteuerlust, was Melanie sofort – wenn auch wider Willen – für ihn einnahm.
Im Lampenlicht konnte sie ihn genauer betrachten als in der vergangenen Nacht. Seine Züge waren nicht so hart und sein Mund nicht so grimmig, wie es ihr gestern
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