Nicht die Bohne!
dich auch«, flüstere ich zurück.
»Ich habe wirklich sieben Stunden hier gehockt und gegrübelt? Das ist doch pervers«, murmelt er.
»Äh, ja. Das finde ich auch«, sage ich und versuche mit der freien Hand an das Sofakissen zu gelangen. Er hindert mich nicht daran, und so falte ich wenige Sekunden später das völlig zerknickte Blatt Papier auseinander. Der Brief ist kurz, in akkurater Handschrift mit Füller geschrieben. Ich beginne zu lesen.
Simon, Deine Post ist angekommen. Du scheinst Dein Leben nach wie vor nicht im Griff zu haben. Was hast Du Dir da Nettes angelacht? Eine schwangere Frau? Uns ist doch allen klar, worauf das hinausläuft.
Vielleicht solltest Du mal mit eigenen Kindern anfangen, bevor Du die von Fremden aufziehst?
Es gibt keine Abschiedsfloskel. Der Brief ist an dieser Stelle einfach zu Ende. Was ganz gut ist, wie ich finde. Ich werfe das Blatt Papier zu Boden und ziehe die Beine auf das Sofa.
»Ich dachte, es wäre gut, meinen Eltern von meinem Leben zu berichten. Dass es eine Frau gibt. Dass es mir gut geht und ich glücklich bin. Ich wollte einen Schritt auf sie zugehen. Aber das war ein Fehler. Ich verhalte mich mal wieder nicht nach den strengen Regeln der Sternberg-Sippe, und das wird sofort geahndet.« Er lehnt den Kopf gegen das Sofa. »Und weißt du, was richtig große Scheiße ist? Es sollte mir egal sein. Ich bin vierunddreißig Jahre alt, und mir sollte dieser Kommentar meiner Mutter am Arsch vorbeigehen. Tut er aber nicht. Er tut mir weh. Und es tut mir leid, dass ich dir keine nette Schwiegermutter präsentieren kann, mit der du Kekse backen oder shoppen gehen kannst. Meine Familie ist total krank.«
In diesem Punkt kann ich ihm nur zustimmen. Leider löst diese Zustimmung ein leicht flaues Gefühl in meiner Magengegend aus, woraufhin die Bohne sich fest gegen meine Bauchdecke drückt, wie eine Siamkatze mit Schmusebedürfnis.
Simons Mutter hat von mir geschrieben. Was ich noch verkraften könnte. Selbst den Satz, was er sich da Nettes angelacht hat, könnte ich so stehen lassen. Auch wenn es wehtut. Wir haben uns einander gegenseitig angelacht, und einen Bohnen-Versorger brauche ich nun wirklich nicht. Aber sie hat auch von der Bohne geschrieben. Meiner Bohne, die nur mich hat. Was bitte hat die kleine Bohne dieser Frau denn getan?
Wäre ich nicht schwanger, würde ich sagen: »Was für eine blöde Kuh! Lass uns einen Sekt aufmachen und auf ihr Wohl trinken. Solche Mütter brauchen wir hier nicht!«
Aber ich bin sehr dolle schwanger, und ich spüre immer deutlicher, dass ich Frieden, Harmonie und Liebe brauche. Jede Woche mehr. Seit letzter Woche kann ich zum Beispiel die Tagesschau nicht mehr ansehen. Viel zu erschütternd die Erkenntnis, dass die Welt abgrundtief schlecht ist und ich im Begriff bin, meine Bohne in diese Welt zu gebären. Uahhh! Und jetzt auch noch eine bösartige Schwiegermutter in Lauerstellung, die ihrem Sohn mal ganz galant unterstellt, ein totaler Versager zu sein, der sich was Nettes mit Anhang anlacht. Wobei sie alle – wer sind denn bitte alle? – jetzt schon wissen, worauf das hinausläuft. Ja, worauf denn bitte?
Das dringende Bedürfnis, mir die Bettdecke über den Kopf und den Bauch zu ziehen und dort für die nächsten sechs Wochen zu verweilen, ist plötzlich übermächtig, und so komme ich auf die Füße und steuere kommentarlos den Ausgang an.
»Paula?« Simon ist direkt hinter mir und fasst mich an den Schultern.
»Äh, ich muss mal allein sein«, plappere ich und versuche mich seinem Griff zu entwinden.
»Ich fahr dich nach Hause«, sagt Simon schnell und hat schon den Autoschlüssel in der Hand.
»Nö, du. Lass mal. Ich … kann alleine fahren.« So wie ich auch die Bohne alleine bekommen kann, aufziehen kann, mein Geld alleine verdienen kann, Umzugskartons alleine packen und überhaupt ALLES ALLEINE kann.
Tief in meinem Innersten ist die Kacke am Dampfen, aber gewaltig. Leider kann ich das gerade nicht wirklich in Worte fassen, genauso wenig wie ich erklären könnte, warum dieser Brief das in mir auslöst.
Ich zaubere von irgendwoher ein verkrampftes Lächeln in mein Gesicht und hebe abwehrend die Hände. »Lass uns da mal drüber nachdenken. Vielleicht hat sie ja recht, und es geht überhaupt nicht, ein fremdes Kind großzuziehen. Ist ja wirklich nicht so, dass bei uns alles total einfach wäre, oder?«
Und so stelle ich mal ganz spontan die gesamte Beziehung mit Simon infrage, drehe mich auf dem Absatz um und eile aus
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