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Nicht die Bohne!

Nicht die Bohne!

Titel: Nicht die Bohne! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Steffan
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dem Land der Ahnungslosen und war total erstaunt, dass eine Prothese Strom braucht. Diese eben schon, und wenn der Akku leer ist, macht er durch Vibrieren auf sich aufmerksam. Einmal, als Simon bei einem Kunden einen Einbauschrank unter einer Dachschräge einpassen sollte, war plötzlich einfach der Saft weg. Da stand er nun, im Dachgeschoss eines dreistöckigen Mehrfamilienhauses, und kam die vielen Treppen nicht mehr allein hinunter. Seitdem achtet er penibel darauf, dass es kein zweites Mal geben wird. Bis jetzt offensichtlich.
    »Dein neues Zuhause ist fast fertig.« Simon lässt das Buch auf den Boden fallen und dreht sich ein Stück weiter zu mir. »Ich habe heute das Kinderzimmer fertig gestrichen. Mit ökologisch wertvoller Biofarbe. Sieben Mal musste ich drübergehen, und es ist immer noch scheckig. Ich hasse dieses Zeug. Den Rest der Wohnung streiche ich mit Alpina Kristallweiß, da kannst du Gift drauf nehmen. Gestern habe ich auch schon den halben Tag dieses Biozeug eingeatmet. Vielleicht macht es wirr im Kopf, ich vergesse sonst nie, das Ding aufzuladen. Na ja, jetzt habe ich eine Zwangspause.«
    Mit dem Zeigefinger fährt er mir über die Wange, um dann weiter zu meiner linken Brust zu wandern. Ich bin sehr versucht, über ihn herzufallen, aber ich habe im Gegensatz zu ihm keine Pause, sondern zwei Aufträge zu erfüllen.
    »Meine Abfindung ist da«, platzt es aus mir heraus, und Simon lacht. Ein wunderbares Simon-Lachen unter Einsatz sämtlicher Grübchen.
    »Wie viel?«
    »49 400 Euro«, hauche ich, immer noch ergriffen.
    »Das ist super!«
    »Und du hast Post.« Ich wedle mit dem Briefumschlag vor seiner Nase herum, Simon greift danach, und schlagartig weicht das Lachen aus seinem Gesicht.
    »Wir sehen uns heute Mittag?«, fragt er in plötzlich sehr nüchternem Tonfall.
    »Du möchtest, dass ich gehe, damit du in Ruhe diesen Brief lesen kannst?«, übersetze ich seine schroffe Art kurz in meine Sprache. Auch wenn ich mich langsam daran gewöhne, dass Simon manchmal seltsam reagiert, ich kann nicht sagen, dass es mir gefällt.
    »Ja«, murmelt er und hat sich schon aufgesetzt. »Lass mich den kurz lesen, dann komme ich zu dir. Okay?« Ich hebe die Hände und wende mich zum Gehen. »Der ist von meiner Mutter«, fügt Simon leise hinzu.
    Simon kommt nicht, auch nicht zum Essen, obwohl es in meinen Augen eigentlich möglich sein sollte, in drei Stunden einen Brief zu lesen. Um kurz vor fünf überlege ich, ob ich ihm noch schnell Tschüss sagen oder einfach abdampfen soll. Da ich noch zehn weitere Umzugskartons in der Tischlerei gelagert habe und mein Vorrat zu Hause allmählich zur Neige geht, entschließe ich mich letztendlich zu einem kurzen Abstecher. Diesmal klopfe ich nicht, sondern marschiere einfach so in die Werkstatt. Klarer Fall von Trotzverhalten.
    Simon sitzt immer noch auf dem Sofa. In unveränderter Position, nur die Prothese ist wieder an Ort und Stelle. Bei meinem lautstarken Auftritt zuckt er erschrocken zusammen.
    »Sitzt du hier immer noch oder schon wieder?«, frage ich, während ich beginne, die Kartons zur Eingangstür zu tragen.
    Er räuspert sich. »Wie spät ist es?« Alles in allem wirkt er etwas derangiert.
    »Kurz vor fünf«, antworte ich knapp.
    »Tut mir leid, ich wollte rüberkommen.«
    »Hm, so vor sieben Stunden. Vielleicht ist was dran, dass die Biofarbe deinem Hirn geschadet hat.« Irgendwie macht es gerade keinen Spaß, ihn anzupflaumen, deswegen frage ich: »Was hat denn deine Mutter geschrieben? Musstest du deswegen hier so lange alleine herumsitzen?«
    Simon nickt und fährt sich mit den Händen durch die blonden Haare. Okay, Schwester Paula eilt zu Hilfe. Ich lasse die Kartons fallen und quetsche mich neben ihm aufs Sofa.
    »Kann ich das lesen?«, frage ich. Ist doch viel einfacher, wenn ich weiß, was die Mutter geschrieben hat. Dann haben wir den gleichen Wissensstand.
    Erst schüttelt er den Kopf, dann stopft er den Brief hinter eines der speckigen Sofakissen und schaut mich mit seinen braunen Augen ganz komisch an.
    »Das ist kein erwachsenes Verhalten«, sage ich trocken, aber er schüttelt nur erneut den Kopf.
    »Was sie geschrieben hat, ist bösartig. Ich möchte nicht, dass du es liest. Es wird dich verletzen. Mich hat es zutiefst verletzt. Ich bin … ich weiß nicht, was ich bin.« Damit greift er nach meinen auf dem Schoß gefalteten Händen und zieht mich an sich. Und dann flüstert er ganz leise: »Ich liebe dich.«
    Mein Ärger ist verflogen. »Ich

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