Nicht die Bohne!
freiheitsliebend. Ob ich während der Bohnen-Produktionsphase ein anderer Mensch geworden bin? Hoffentlich bahnt sich die alte Paula nicht direkt nach der Geburt wieder einen Weg an die Oberfläche und schockt ihre Umgebung mit Freiheitsparolen und anderen schlimmen Dingen. Meine Schwester scheint ja nach fünf Jahren auch wieder auf den alten Pfaden der Unfehlbarkeit zu wandeln, und dabei hatten wir gedacht, sie hätte diese elende Besserwisserei endlich hinter sich gelassen.
Wenn Simon nicht gerade an mir hängt, macht er sich nützlich. Er packt nicht nur meine Umzugskartons weiter, er kocht auch für mich und installiert dann meine Stereoanlage neu, die in den vergangenen Wochen beschlossen hat, ab sofort nur noch mit einem speziellen PIN -Code zu funktionieren. Den ich natürlich weder kenne noch jemals gekannt habe.
Bei all diesen Tätigkeiten ist Simon sehr freundlich und liebevoll, aber schweigsam. Irgendwann reinigt er sogar das Sieb in meiner Spülmaschine, und ich kann förmlich sehen, wie sein Gehirn Schwerstarbeit leistet, während ich auf dem Sofa liege und ihn beobachte.
Nun sind wir Frauen ja dank einschlägiger Ratgeber bestens darüber informiert, wie Denkprozesse im männlichen Hirn so ablaufen. Als Simon sich dann aber wieder zu mir setzt und nach der Phase des freundlichen Schweigens endlich mit der Sprache rausrückt, bin ich doch sehr beeindruckt von seinen lehrbuchmäßigen Gehirnstrukturen.
Alles ganz vorbildlich: Problem geortet (ich), rein in die Höhle (da grad keine Höhle zur Hand, hat er kurzerhand Ordnung geschaffen, das ist vermutlich genauso gut), intensives Bedenken des Problems, Lösung finden, raus aus der Höhle, das Problem (mich) über die Lösung in Kenntnis setzen. Und das tut er jetzt.
»Ich habe nachgedacht«, sagt er, als er sich neben mich auf das Sofa fallen lässt.
»Oh, wie schön«, sage ich freundlich. »Ich mag denkende Männer.«
Simon zieht tadelnd eine Augenbraue hoch, bevor er fortfährt. »Ich glaube, dass ich mich nicht richtig verhalten habe«, sagt er und legt beide Beine auf den Couchtisch. Ich lege meine Beine dazu. »Vielleicht habe ich mich blenden lassen von deiner anpackenden Art und deswegen einfach so mein Ding weitergemacht. Du hast recht mit dem, was du gestern Abend gesagt hast.«
Oha. Kurz rekapituliere ich, was ich alles gesagt habe, und komme zu dem Schluss: Ich möchte definitiv nicht mit all meinen gestrigen Äußerungen recht haben. Doch Simon ist noch nicht fertig.
»Ich bin viel zu sehr auf mich fixiert gewesen und habe gar nicht mitbekommen, dass du mich vielleicht mehr brauchst, als du es ausdrücken kannst. Weil es dir vielleicht auch gar nicht so bewusst ist. Liege ich da möglicherweise richtig?« Fragend sieht er mich von der Seite an. Seine blonden Haare sind ihm im Kampf mit meiner Geschirrspülmaschine ins Gesicht gefallen, und mit einer ungeduldigen Bewegung schüttelt er den Kopf. Ich denke über seine Frage nach. Könnte das sein? Habe ich den Zeitpunkt verpasst, an dem ich die Hand heben und um Hilfe hätte bitten müssen?
»Ein Kind zu bekommen ist wirklich eine verdammt große Sache, und sie verändert alles. Vielleicht ist die Paula mit der Bohne im Bauch eine andere als die Paula vor der Bohne. Und vielleicht hast du dir das selbst nicht eingestehen können und einfach so weitergemacht. Oder es gar nicht gemerkt, denn ganz offensichtlich brauchst du sonst nichts und niemanden, um im Leben bestehen zu können. Ich meine, du hast deinen Job verloren, dir einen neuen gesucht, das mit dieser Abfindung geregelt, du organisierst deinen Umzug, bringst den Hof auf Hochglanz und hast mir nebenbei noch gehörig in den Arsch getreten. Das ist alles verdammt viel. Für eine Hochschwangere noch dazu, findest du nicht auch?« Okay, das ist offenbar eine rhetorische Frage, denn er fährt umgehend fort: »Und ich sitze da und befasse mich stundenlang mit einem Brief meiner Mutter, anstatt zu begreifen, dass ich mich mit dir befassen sollte. Meine Mutter ist egal, mit dir will ich leben. Mit dir und der Bohne.« Er nimmt meine rechte Hand in seine und schaut mich an.
Ich bin nach dieser sehr langen Rede emotional leicht verwirrt und muss ein paarmal blinzeln. Eine hübsche kleine Interpretation war das, und vermutlich liegt er damit sogar ganz richtig. Vielleicht war ich gestern genau deshalb so überfordert, weil er sich in seinem Leid suhlte, während ich ihn einfach brauchte. So ganz allgemein, nicht um die Umzugskartons ins
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