Nicht die Bohne!
damals gesagt: Wir sollten jetzt mal Kinder machen, und ich habe dem nicht aktiv gegengesteuert. Was gut war, denn sagen wir mal so: Es ist das Beste, was mir je passiert ist. Wovor hast du denn solche Angst?«
»Ja … äh …« Wo soll ich anfangen? »Ich habe keinen Vater für das Kind. Punkt eins. Ich habe einen anstrengenden Job und echt gute Karriereaussichten. Punkt zwei. Und ich kann mir ein Leben als Mutter nicht vorstellen. Verstehst du, was ich meine?« Hilflos sehe ich sie an.
»Nein«, antwortet sie trocken. »Wie leben Mütter denn?«
»Sie schlafen nicht mehr, reden nur noch über die Konsistenz von Windelinhalten und haben im Berufsleben keine Chance mehr«, empöre ich mich über ihre Unwissenheit.
Sie nickt nachdenklich. »Das mit dem Schlafen stimmt. Aber alles andere hast du selbst in der Hand. Wenn du einen neuen Job hast, würdest du auch am liebsten immer nur darüber reden. Das legt sich mit der Zeit. Und das mit den Berufschancen ist nicht wahr. Es ist natürlich wesentlich komplizierter, mit Kind arbeiten zu gehen, aber mal ganz ehrlich … Glaubst du wirklich, dass alle Mütter dieser Welt nur noch Hilfsjobs machen? Das ist ganz schön überheblich, du Huhn!« Tadelnd sieht sie mich an. »Was ist mit Olaf? Will er denn die Bohne? Netter Projektname übrigens.«
»Ja, er will«, antworte ich fest. »Aber wir müssen noch klären, wie das funktionieren kann.«
»Na dann … Wenn er das Kind will, kann er schließlich genauso Elternzeit nehmen. Du bist doch in einer guten Position. Was stellst du dich so an? Und mal ganz ehrlich, Paula. Wenn du es nicht tief in deinem Innersten doch für möglich halten würdest, diese Bohne zur Welt zu bringen, wärst du jetzt schon in der Klinik.«
Ich schlucke. So ist es wohl.
»Einen Ratschlag kann ich dir geben, Süße: Herz öffnen statt Kopf zerbrechen. Mach das nicht so kopflastig. Du bist eine Frau, und Frauen können Kinder bekommen. Und manchmal bekommen sie Kinder, obwohl sie es nicht geplant haben. Vielleicht soll es dann einfach so sein? Du bist keine sechzehn mehr, du bist finanziell abgesichert, du hast ein Dach über dem Kopf, du bist gesund, und es gibt einen Bohnenvater, auch wenn ihr nicht zusammenlebt. Es gibt Frauen, die bekommen unter schwierigeren Bedingungen ihre Kinder. Und du hast Eltern, die sich über ein Enkelkind freuen würden. Vergiss auch das nicht. Deine Eltern helfen deiner Schwester sehr, also werden sie auch dir helfen. Der Job ist dir jetzt wichtig, aber ein Kind begleitet dich ein Leben lang. Ich würde meine beiden Zicken um nichts in der Welt wieder hergeben. Und jetzt, liebe Paula, triff eine Entscheidung. Vermutlich die erste wirklich erwachsene und nie mehr rückgängig zu machende Entscheidung deines Lebens. Aber du bist jetzt groß und kannst das!«
Nach dieser Ansprache schließe ich einen Moment die Augen und atme tief durch.
Zwei Sekunden später weiß ich, was ich tun werde. Ich weiß es vermutlich schon länger, aber bei dem Arbeitspensum meines Hirns in den letzten zweiundsiebzig Stunden ist dieses intuitive Wissen bisher nicht an die Oberfläche des Bewusstseins getrieben worden.
Jetzt ist es da, und es wirft meine bisherige, so sorgsam gepflegte Lebensplanung radikal über den Haufen. Es ist auch nicht der Kopf, der diese Entscheidung trifft. Es ist nur das Herz.
Das Bohnen-Projekt ist angelaufen. Ich fang schon wieder an zu weinen, und Jutta kramt in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch. Die Phase der verrotzten Taschentücher in der Hosentasche liegt bei ihr schon etwas zurück, aber sie wird fündig und reicht mir ein blütenreines Taschentuch. Trocken kommentiert sie meinen erneuten Tränenstrom: »Gewöhn dich schon mal dran. Ich hab bei beiden Schwangerschaften fast durchgehend geheult. Und danach hätte ich gerne damit weitergemacht, hatte aber keine Zeit mehr für das Hobby. Das liegt an den Hormonen und der Metamorphose.«
Ich tupfe mir die Tränen von den Wangen und sehe sie fragend an.
»Die Metamorphose von Frau zu Mutter«, erklärt sie mir. »Ist leider sehr anstrengend, kommt aber meistens was Gutes bei raus.« Sie grinst mich an und tätschelt mein Knie.
Wir trinken noch ein wenig Tee, essen grünen Wackelpudding – ich habe einen unerschöpflichen Vorrat in meinem Kühlschrank – und schmieden Pläne. Alles fühlt sich sehr seltsam und surreal an. Meine Gefühle hocken gemeinschaftlich auf einer großen Schaukel und schwingen fröhlich hin und her. Mal heule ich, mal
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