Nicht die Bohne!
lache ich. Aber ich bin erleichtert, dass eine Entscheidung gefallen ist. Die Instanz in mir, die diese Entscheidung getroffen hat, war mir bis jetzt allerdings gänzlich unbekannt. Wo um alles in der Welt war sie die letzten zweiunddreißig Jahre? Wer bin ich denn eigentlich, wenn diese Bohne es schafft, meine so hochgehaltenen Lebenspläne innerhalb von wenigen Tagen dermaßen über den Haufen zu werfen? Und eine fast noch wichtigere Frage: Was kommt als Nächstes? Vielleicht möchte eine weitere mir noch unbekannte Paula sehnsüchtig einen Achttausender besteigen, und ich weiß noch nichts davon?
Jutta sagt, ich soll mich damit abfinden, dass es viele verschiedene Persönlichkeiten in uns gibt, die sich immer mal wieder ungefragt ins Leben einmischen, und ich beschließe, ihr zu glauben.
Dann rufe ich Olaf an, um ihn davon in Kenntnis zu setzen, dass ich schwanger bleibe. Ich informiere ihn außerdem, dass er sich schon mal Gedanken über seine Elternzeit machen kann. Das sei heutzutage ja überhaupt kein Problem mehr. Den Seitenhieb versteht er nicht. Macht aber nichts, denn am Ende unseres Gesprächs scheint er wirklich und ganz ehrlich erfreut über die Fortsetzung des Bohnen-Projekts zu sein.
Weil ich gerade dabei bin, rufe ich auch noch Andrea an. Sie ist mehr als erfreut und bricht erst mal in Tränen aus. »Das ist so schön!«, heult sie mir ins Ohr. »Wir müssen es Mama und Papa sagen!«
Schockschwerenot! Meine Eltern. Ich muss ihnen sagen, dass Enkelbohne Nummer drei auf dem Weg ist. Spontan rutscht mir das Herz in die Hose. Jutta erfasst die Situation mit einem Blick und reicht mir dezent einen Riegel Vollmilchschokolade aus ihrer Handtasche. Dankbar schiebe ich ihn mir in den Mund, während meine Schwester immer noch in mein rechtes Ohr schluchzt.
Nach dem letzten Bissen Schokolade sage ich: »Jetzt hör doch mal bitte mit der Flennerei auf!« So kenne ich meine Schwester gar nicht.
»Entschuldige«, schnieft sie. »Ich freu mich nur so. Du bist schwanger! Das ist so wunderbar. Ich meine, wer hätte das gedacht, nicht?«
Ja, denke ich. Wer hätte das gedacht … Vor zweiundsiebzig Stunden war alles noch anders. Ich war noch nicht schwanger – zumindest wusste ich es noch nicht, ach du selige Ahnungslosigkeit. Ich hatte noch vor, Karriere zu machen und kinder- und männerlos glücklich zu sein. Jetzt habe ich Morgenübelkeit, eine wachsende Bohne samt Herzschlag im Bauch und einen Kerl, mit dem ich zwar keine Beziehung mehr führe, der mir aber für den Rest meines Lebens an der Backe klebt. Ich muss sagen, meine Zukunft sah schon mal rosiger aus.
Aber wenigstens habe ich eine Entscheidung getroffen. Oder besser gesagt: Etwas in mir hat eine Entscheidung getroffen, der ich mich der Einfachheit halber anschließen werde. Ich bekomme eine Bohne.
Kapitel 4
An Tag zwei meines Bohnen-Projekts bin ich wieder krank. Beziehungsweise: In der ersten Stunde nach dem Aufstehen bin ich sterbenskrank, danach, als hätte jemand den Schalter umgelegt, geht es mir wieder gut. Wenn man bei meinem aktuellen verwirrten Zustand als ungewollt Schwangere von gut sprechen kann. Zumindest kotze ich nicht mehr. Damit habe ich nämlich die Zeit zwischen halb sieben und halb acht verbracht. Dazwischen habe ich in tiefster Verzweiflung meinen Frauenarzt Dr. Ganter angerufen, was nicht so leicht war. Sprechen und kotzen gleichzeitig ist eine wirklich knifflige Aufgabe. Aber die Sorge war größer als der Wunsch, alleine vor meinem Klo zu hocken und zu leiden. Die Sorge, dass etwas nicht stimmt mit mir. Etwas ganz Gravierendes, abgesehen davon, dass ich schwanger bin. Denn so schrecklich kann sich doch diese viel zitierte Morgenübelkeit gar nicht anfühlen?
Zumindest die Sprechstundenhilfe konnte ich mit meiner Aktion schwer beeindrucken. Nach mehreren Versuchen, ihr zwischen dem Würgen die Situation zu schildern, war sie sogar so beeindruckt, dass ich Dr. Ganter nur eine Minute später direkt am Ohr hatte. Der wiederum war überhaupt nicht beeindruckt. Er freute sich über meine Entscheidung für die Bohne und erklärte mir, dass diese Kotzerei durchaus mit der Schwangerschaft zu tun haben könnte und er mich selbstverständlich für heute krankschreiben würde. Und für morgen, wenn ich möchte. Und für übermorgen. Was hat er doch für ein großes Herz, mein Gynäkologe. Ist mir vorher gar nicht aufgefallen. Aber da war ich auch noch nicht schwanger.
Als ich das Gespräch endlich beende – mit der Zusage von
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